Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
empfahl. Auch Leffel schloss die Augen und senkte den Blick, während Alphart aufstand und die Umgegend taxierte, den Bogen wieder schussbereit in der Hand.
»Und nun?«, wollte er wissen.
»Wir werden unseren Weg fortsetzen, die Zeit drängt mehr denn je«, erwiderte der Druide. »Für die Nacht werden wir uns einen Unterschlupf suchen und bei Tagesanbruch weiterziehen.«
»Verstanden«, sagte Alphart nur und wollte sich bereits wieder in Bewegung setzen – Yvolar jedoch hielt ihn zurück. Leffel kauerte noch immer auf dem von Blut und Nässe durchweichten Boden und zitterte am ganzen Körper.
»Alles in Ordnung, Sohn?«, erkundigte sich der Druide.
Der Gilg blickte auf, kreidebleich und einen elenden Ausdruck im Gesicht. »Das Opfer war jung«, flüsterte er, »fast noch ein Kind…«
»Ich weiß.« Yvolar nickte. »Die Erle kennen keine Gnade, und sie machen keinen Unterschied.«
»Was kann man tun gegen so viel Bosheit, großer Druide?«, fragte Leffel ratlos. »Ich fürchte, die Menschen aus Allagáin haben diesen Bestien nichts entgegenzusetzen.«
»Die Erle sind wie jede Bedrohung aus dem Reich der Finsternis«, entgegnete Yvolar weise. »Nur ein Herz, das ebenso tapfer ist wie rein, vermag sie zu besiegen.«
»Und eine scharfe Axt«, fügte Alphart verdrossen hinzu.
»Und wenn das nicht genügt?« Leffels Stimme klang heiser und tonlos. »Ich habe Angst, großer Druide.«
»Möchtest du zurück?«, fragte Yvolar. »Zurück zu den Deinen? Dann geh, wir werden dich nicht aufhalten. Aber wir können dich auch nicht begleiten auf deinem Weg nach Hause.«
»Das verstehe ich«, sagte Leffel leise.
»Also wirst du gehen?«
Noch immer im kalten Morast kauernd, überlegte der Gilg. Natürlich konnte er zurückkehren – aber was würde er den Leuten aus seinem Dorf erzählen? Dass er sich feige aus dem Staub gemacht hatte, als es gefährlich geworden war?
Er musste daran denken, was Yvolar zu Beginn ihrer Reise gesagt hatte – dass es jenes Allagáin, das er kannte und liebte, schon bald nicht mehr geben würde, wenn die Erle erst ins Land eingefallen waren. Sollte er unter diesen Voraussetzungen aufgeben und nach Hause gehen, wenn er dort doch nichts anderes tun konnte, als auf den Untergang zu warten?
»Nein«, erklärte er mit bebender Stimme. Er raffte sich auf und schickte seinen Gefährten einen Blick, der wohl Verwegenheit ausdrücken sollte, in Wirklichkeit jedoch noch reichlich verängstigt wirkte. »Ich gehe mit euch.«
»Bist du sicher?«, erkundigte sich Alphart zweifelnd.
»Allerdings.«
»Dann lasst uns weitergehen«, drängte Yvolar. »Es wird bald dunkel, dann werden die Erle aus ihren Löchern kriechen.«
So setzten sie ihren Weg fort. Den Leichnam des Hirten ließen sie liegen, so sehr es ihnen auch widerstrebte – alles andere hätte sie nur aufgehalten.
An einem Steilhang schlugen sie schließlich ihr Nachtlager auf. Angesichts der Bedrohung teilten sie Wachschichten ein, und Yvolar persönlich übernahm die erste Wache. Alphart wusste nicht zu sagen, wie spät es war, als ihn eine Berührung an der Schulter weckte. Er zuckte zusammen, war im nächsten Moment hellwach, und instinktiv griff seine Hand nach dem Hirschfänger am Gürtel. Dann aber erkannte er im fahlen Mondlicht Yvolar, der sich über ihn beugte.
»Was, zum…?«
Mit einem energisches »Schhh« ließ ihn der Druide verstummen.
Alpharts Augen brauchten einen Moment, um sich an das spärliche Licht zu gewöhnen, das die Sterne zur Erde sandten. Je mehr er erkennen konnte, desto deutlicher traten auch die Sorgenfalten in Yvolars ältlichen Zügen hervor.
Aber Alphart sah nicht nur, er hörte auch:
Trommeln.
Ein wilder, stampfender Rhythmus, den der Wind den Berg herauftrug und der von kreischenden Schreien begleitet wurde. Alphart schauderte. Dergleichen hatte er noch nie gehört, aber er war sicher, dass weder das Trommeln und erst recht nicht das Kreischen von Menschen stammten…
Auch Leffel war inzwischen erwacht und begann einmal mehr zu wimmern, als er das Geschrei und das Getrommel vernahm. Yvolar beruhigte ihn, während Alphart nach seinen Waffen griff.
»Kommt mit«, raunte der Druide den beiden zu, und zwischen den Felsen hindurch pirschten sie sich den Hang hinab und auf die Quelle der unheimlichen Laute zu. Der Schrei eines Kauzes erklang und das schaurige Heulen eines Wolfs. Aber nichts davon war auch nur annähernd so grässlich wie das heisere Kreischen, das durch die Nacht gellte.
Die
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