Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
Allagáin zu wachen?«
»Auch das ist richtig.«
»Wie kann es dann sein, dass die Erle unbemerkt in unser Land einfallen können? Müssten die Wachen auf den Türmen nicht bemerkt haben, dass etwas vor sich geht in Düsterfels?«
Die Frage war nur zu berechtigt. Auch Alphart wusste darauf keine Antwort. Nicht weniger neugierig als der Gilg schaute er den alten Druiden an, dessen Züge sich daraufhin einmal mehr verfinsterten.
»Ich wünschte, mein junger Freund«, sagte er, »du hättest mich nicht danach gefragt, denn deine Frage zwingt mich zu einer Antwort, die euch bestimmt nicht gefallen wird. Wieso hat keine der Turmwachen Alarm gegeben? Wieso wurden wir nicht vor den Erlen gewarnt?«
»Nun?«, fragte Alphart.
»Vielleicht verhielten sich die Erle so geschickt und unauffällig, dass ihr Aufmarsch von den Wachen nicht bemerkt wurde«, sagte der Druide leise.
»Unwahrscheinlich«, wandte Alphart ein. »Wie es heißt, werden nur Männer, die die Augen eines Falken haben, zu Turmwachen ernannt.«
»Nun, möglicherweise hat ihre Aufmerksamkeit im Lauf der Zeit nachgelassen«, gab Yvolar zu bedenken. »Vergessen wir nicht, der letzte Kampf gegen Muortis und sein Gezücht liegt Jahrhunderte zurück.«
»Dennoch hätten sie etwas merken müssen«, war Alphart überzeugt. »Und du machst mir auch nicht den Eindruck, als würdest du an diese Möglichkeit glauben.«
»Du hast recht, Alphart Wildfänger.« Der Druide senkte schwermütig das Haupt. »Ich denke, dass wir alle getäuscht wurden. Die hässliche Antwort auf deine Frage, Leffel, lautet Verrat.«
»Verrat?«, echote der Gilg entsetzt, während Alpharts Miene zur steinernen Maske wurde. Sie bestürmten Yvolar mit weiteren Fragen, aber der Druide war nicht gewillt, darauf zu antworten.
»Rasch«, drängte er stattdessen, »wir müssen weiter. Zu gegebener Zeit werdet ihr alles erfahren…«
Sie packten den verbliebenen Proviant ein und setzten den Marsch fort, der inzwischen nach Südwesten führte. Je weiter sie gelangten, desto spärlicher wurde der Baumbewuchs. Sie konnten nur noch darauf hoffen, dass die Felshänge über den schmalen Pfaden sie den Blicken der Turmwachen entzogen. Alphart und Leffel trugen zudem moosgrüne Umhänge, die sie einigermaßen tarnten, und der Druide hatte sich eine der grauen Decken übergeworfen, damit er in seiner hellen Tracht und dem purpurfarbenen Umhang aus der Ferne nicht allzu leicht auszumachen war.
Der Nächste der sechs Wachtürme kam in Sicht, und es galt eine weite Schlucht zu überwinden. Ein schmaler, in den Fels gehauener Pfad war der einzige Weg, der um die Schlucht herumführte. Da er teilweise abgebrochen war, wurden den drei Wanderern diesmal nicht nur Mut und Ausdauer abverlangt, sondern auch Geschick im Klettern.
Als Wildfänger, der in den rauen Bergen aufgewachsen war, fiel es Alphart nicht schwer, in den Felswänden umherzusteigen – oft genug hatte er zum Grund einer Klamm klettern müssen, wenn ein Hirsch, den er auf hohem Fels erlegt hatte, in die Tiefe gestürzt war. Sich lederne Bergstiefel zu fertigen und die Sohlen so mit Nägeln zu beschlagen, dass sie sicheren Tritt boten, gehörte zu den Dingen, die ein junger Wildfänger schon früh erlernte, denn sein Leben konnte davon abhängen.
Leffel hatte Mühe, Alphart zu folgen; als Unterländer war er die schwindelnde Höhe nicht gewohnt. Mit aller Macht musste er sich dazu zwingen, nicht hinabzublicken, so wie Alphart er ihm geraten hatte. Yvolar hingegen erwies sich trotz seines hohen Alters und seiner hageren Gestalt als geschickter Kletterer. Woher er die Kraft dazu nahm, sich an schmalen Vorsprüngen emporzuziehen und dabei noch nicht einmal außer Atem zu kommen, war selbst Alphart ein Rätsel. Hinzu kam, dass er seinen Eschenstab nicht aus der Hand nahm.
Über den nackten Fels, der aussah, als wären unzählige Kiesel darin eingebacken, umrundeten sie die Schlucht. Auf der anderen Seite gab es wieder einige Bäume, die ihnen bis zu den Hängen des Aradh Loin Deckung boten, des westlichsten und höchsten Berges der Kette, auf dem sich das Böse einst zum ersten Mal gezeigt hatte, nachdem es von den Zwergen aus seinem Jahrtausende währenden Schlaf geweckt worden war.
Auf dem Gipfel stand der Turm Íarin, der größte und trutzigste der sechs Grenztürme, von dessen Zinnen der Blick bei klarem Wetter bis zur blauen Fläche des Búrin Mar reichte.
Nur noch knapp zwei Tagesmärsche waren es von dort aus zum großen See. Den
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