Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
noch mehr Patrouillen in dieser Gegend herumtreiben. Wir müssen verschwinden!«
Noch immer dröhnte das Getrommel und Gekreische der vom Blut trunkenen Erle durch die Nacht. Bei dem Radau, den sie verursachten, hatten sie den Kampflärm nicht gehört. Das hoffte Alphart zumindest.
»Verschwinden?«, fragte er den Druiden. »Wohin?«
»Die Nacht über werden wir uns verstecken. Im Morgengrauen ziehen wir weiter – und zwar nach Seestadt.«
»Nach Seestadt? Ich dachte, wir wollten zum Südufer des Búrin Mar, alter Mann. Seestadt liegt weiter nördlich und…«
»Ich weiß, wo Seestadt liegt«, unterbrach ihn der Druide. »Aber nach unserer Begegnung mit dem Troll halte ich den Weg durch den Wald für zu gefährlich. Gut möglich, dass sich dort noch mehr von diesen Kreaturen herumtreiben.«
»N-no-noch mehr?«, fragte Leffel entsetzt.
»Worüber machst du dir Sorgen?« Alphart hob seinen Bogen vom Boden auf. »Wer eine solche Bestie mit einem rostigen Buttermesser angreift, der ist ein Held und braucht sich nicht zu fürchten.«
»M-meinst du?«
»Bestimmt«, versicherte Alphart und klopfte dem Gilg ebenso ermutigend wie anerkennend auf die Schulter, woraufhin sich Leffel straffte und seinen schmalen Brustkorb aufblies.
Dann verließen sie den Schauplatz des Kampfes – und keiner der beiden sah das Lächeln, das trotz der Anspannung und der Todesgefahr, der sie nur mit knapper Not entronnen waren, über Yvolars faltige Züge huschte.
27
Zwei Tage nach der nächtlichen Begegnung mit dem Troll hatten sie den Bergwall hinter sich gelassen.
Durch die westlichen Ausläufer des Wildgebirges gelangten sie zum Seewald. Erneut mieden sie die Straße, die von Seestadt nach Osten gen Iónador führte, und hielten sich im Schutz der Bäume, sodass sie zwar langsamer vorankamen, sich aber wesentlich sicherer fühlten. Der Vorfall in den Bergen hatte ihnen deutlich gezeigt, wie vorsichtig sie sein mussten.
Am Mittag des zweiten Tages erreichten sie das weite Becken des Búrin Mar. Von einer Hügelkuppe aus bot sich ihnen ein weiter Blick über das schilfbewachsene Ufer und über den See, der in der Ferne mit dem fahlen Himmel zu verschmelzen schien.
»Bei Bauer Hubers Selbstgebranntem«, entfahr es Leffel, »ich hätte nicht gedacht, dass der See so groß ist. Man kann das andere Ufer gar nicht sehen.«
»Nicht von ungefähr wird der Búrin Mar auch das Meer Allagáins genannt, mein unbedarfter Freund«, erklärte Yvolar, der sich auf seinen Eschenstab stützte und sichtlich mitgenommen war vom tagelangen Marsch. »Einst war er noch viel größer und bedeckte das ganze Land. Was wir sehen, ist nur noch eine Ahnung seiner einstigen Größe.«
»Wie groß der Gumpen ist, ist mir gleich«, brummte Alphart säuerlich. »Hauptsache, dass uns die Leute in Seestadt helfen, zu der verdammten Zwergenfestung zu gelangen.«
»Das werden sie«, war Yvolar überzeugt und deutete auf die Siedlung am Ostufer des Sees – ein labyrinthisch verzweigtes Gewirr von Häusern, Stegen und Booten, das weit hinaus ins Wasser ragte. »Die Bewohner von Seestadt sind bekannt für ihre Hilfsbereitschaft und Gastfreundlichkeit.«
»Wirklich?«, fragte Leffel und schaute den Druiden an.
»Du zweifelst daran?«
»Na ja«, meinte der Gilg, »bei uns zu Hause heißt es, dass die Leute vom See dumm sind und faul und uns den Wohlstand neiden.«
Der Druide runzelte die Stirn. »Und das glaubst du?«
»Immerhin hat es die Witwe Burz erzählt. Und Magistrat Grindl sagt dasselbe. Und…«
»Und glaubst du alles, was man dir erzählt?«, unterbrach ihn Yvolar. »Ich will dir etwas sagen, Leffel Gilg: Die Leute vom See haben keinen Grund, den Unterländern etwas zu neiden. Sie wohnen in stabilen Häusern, die auf Pfählen im See errichtet sind, und leben sehr gut von dem, was der Búrin Mar ihnen gibt.«
»Kommen sie denn damit aus?«, fragte Leffel. »Ich meine, sie betreiben ja offensichtlich keinen Ackerbau, und ich sehe auch nirgends Schafe oder Kühe.«
Yvolar schmunzelte. »Der See gibt ihnen alles, was sie brauchen. Hauptsächlich ernähren sie sich von Fisch, und aus dem Schilf des Ufers und aus dem Holz des nahen Waldes bauen sie ihre Boote und Häuser.«
»Und das ist wahr?«, fragte Leffel verblüfft.
»Allerdings«, sagte der Druide und nickte bekräftigend.
»Hm…«, machte der Gilg. »Dann verstehe ich tatsächlich nicht, weshalb sie neidisch sein sollten auf uns Unterländer.«
Yvolar lachte leise. »So ist
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