Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
entzündet werden und fröhliche Stimmen und der Klang von Musik über das Wasser schallen, wollen wir der Toten gedenken nach altem Brauch. Die Zeiten ändern sich stets, doch es sei kein Opfer vergessen, auch nicht im Überfluss.«
28
So geschah es. Als die Dunkelheit hereinbrach, fand sie die Einwohner von Seestadt an den Stegen versammelt. Es wurden keine Ansprachen gehalten, keine Lobreden auf begangene Taten.
Jeder, der die jungen Männer gekannt hatte, nahm stummen Abschied von ihnen, und auch diejenigen, die nicht persönlich mit ihnen zu schaffen hatten, schickten ein stilles Gebet zum Schöpfergeist. Sodann wurden kleine Flöße aus gebundenem Schilf aufs Wasser gesetzt, auf denen Fischölkerzen brannten und die der leichte Wellengang hinaus auf den See trieb.
Es war eine schlichte Zeremonie, an der auch Alphart und Leffel teilnahmen. Als die Lichter weit draußen auf dem See zu winzig kleinen Punkten geworden waren, erklärte Yvolar die Zeit der Trauer für beendet, und es war den Bewohnern Seestadts anzumerken, wie sehr sie nach all den tristen Tagen nach Frohsinn dürsteten. Nur Bürgermeister Gaétan schien weiterhin bedrückt. So erleichtert er darüber war, dass die drohende Hungersnot abgewendet war – auf seinen schmalen Schultern schienen noch weitere Sorgen zu lasten…
Der Tag verabschiedete sich im Westen mit einem lodernden Himmel, der die weite Fläche des Sees in Brand zu setzen schien, und eine sternklare Nacht brach an. Der Donner und das Ungewitter waren im Lauf des Nachmittags weiter herangezogen, hatten Seestadt jedoch nicht erreicht – eine Brise von Süden hatte die Wolken vertrieben, bevor ein einziger Tropfen auf die Menschensiedlung niederging.
Überall entlang der Stege und rings um den Marktplatz wurden bunte Laternen entzündet, welche die Stadt in heimeligen Schein tauchten, und über den Feuern brutzelte frischer Fisch, gegen dessen köstlichen Duft auch Leffel nichts mehr einzuwenden hatte. Im Gegenteil – der Gilg saß zusammen mit jungen Seestädtern an einem Tisch und unterhielt sich glänzend, denn wie sich herausstellte, gab es tatsächlich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen den Menschen vom See und den Allagáinern. Später dann gesellte sich Leffel zu den Kindern, die auf den Planken hockten und mit Tieren aus Fischknochen spielten. Er zeigte ihnen, wie man einen Geißbock schnitzte, und erntete dafür viel Beifall.
Alphart hielt sich wie immer vom Trubel fern. Zwar saß auch er an der Ehrentafel, die vor dem Rathaus aufgebaut war, und aß vom Fisch und trank vom Bier; nach der Mahlzeit jedoch zog er sich zurück. Auf das Geländer des Landestegs gestützt, blickte er hinaus auf die Spiegelfläche des Sees, auf der das Mondlicht glitzerte. Und zum ersten Mal, seit sein Bruder nicht mehr am Leben war, steckte sich Alphart wieder seine Pfeife an und blies würzige Rauchwolken in die dunstige Abendluft.
Wie es die Art seiner stillen Zunft war, überließ er das Reden und Lärmen anderen. Die Seestädter mochten ihre Trauerzeit beendet haben – für ihn war sie noch längst nicht vorüber…
Etwas später am Abend spielten Musikanten zum Tanz auf. Ein junger Fischer entlockte seiner Fiedel heitere Töne, und ein alter Netzmacher blies dazu auf seiner Flöte eine muntere Melodie, während ein Mädchen den Takt auf einer mit Fischhaut bespannten Trommel schlug. Schon bald fassten sich die Ersten an den Händen und begannen sich ausgelassen im Kreis zu drehen. Leffel sträubte sich zunächst, an dem bunten Treiben teilzunehmen, denn das Tanzen gehörte zu den Dingen, die einem Unterländer nicht in die Wiege gelegt waren. Als aber die Kinder schluchzend darum bettelten, ließ er sich erweichen, und schon bald tobte auch er um das Feuer und vollführte dabei lustige Sprünge.
Von seinem Platz am Steg aus sah Alphart dem Ringelreigen zu, während er schweigend weiterpaffte. Wäre der Wildfänger ehrlich zu sich selbst gewesen, hätte er sich eingestanden, dass er sich in diesem Augenblick einsam fühlte…
»Nun, Jägersmann?«, fragte plötzlich eine Stimme neben ihm. Alphart zuckte zusammen – ohne, dass er es bemerkt hatte, war Yvolar zu ihm getreten.
»Nun, Zauberer?«, fragte er mürrisch zurück.
»Willst du nicht auch tanzen oder dich anderweitig amüsieren? Ich sehe dir an, dass du dich nach menschlicher Gesellschaft sehnst.«
»Nach Gesellschaft vielleicht«, antwortete Alphart, »aber ganz bestimmt nicht nach kindischem
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