Land der Mythen 02 - Die Flamme der Sylfen
Führt nicht die Wahrheit eine viel schärfere Klinge? Vermag sie nicht grausamer und endgültiger zu zerstören, als eine Intrige aus Lügen es jemals könnte?« Der Nebelherr lachte wieder höhnisch. »In diesem Fall, Druide, brauche ich dich nicht zu täuschen, denn getäuscht hast du dich selbst – dich und den Jungen, den du Hoffnungsträger nennst und der doch nichts anderes ist als ein gewöhnlicher Mensch.«
»Das ist nicht wahr!«
»Solltest du tatsächlich so unvorsichtig gewesen sein, deine ganze Hoffnung in ihn zu setzen?«, fuhr Muortis voller Häme fort. »In ihn und ein albernes Horn, das einst den Sylfen gehörte, ehe es von der Welt vergessen wurde, und das sich längst in meinem Besitz befindet?«
Der Nebelherr sprach mit genüsslicher Langsamkeit. Er, dem es keine Schwierigkeit zu bereiten schien, die träge Dunkelheit mit Blicken zu durchdringen, ergötzte sich an der Wirkung, die seine Worte in Yvolars Gesicht hervorriefen. Denn tatsächlich zeigten sich erste Zweifel in den altehrwürdigen Zügen des Druiden…
»Was willst du damit sagen?«, fragte er vorsichtig.
Die einzige Antwort, die er erhielt, war erneut Gelächter. Schallendes Gelächter, das wie eine Flutwelle über ihm zusammenschlug, um in der eisigen Luft zu gefrieren…
51
Vom hohen Balkon des Túrin Mar aus verfolgte Klaigon, der zukünftige König von Iónador, den Verlauf der Schlacht, die in den Straßen und Gassen der Stadt tobte – während sich wachsendes Entsetzen seiner bemächtigte.
Was dort unten vor sich ging, widersprach absolut seinem Plan. Woher, in aller Welt, kam jenes Heer, das es wagte, seine Stadt anzugreifen?
Je weiter die Morgendämmerung voranschritt und je heller es wurde, desto größer wurde Klaigons Unbehagen. Denn im Licht der sich erhebenden Sonne erkannte er voller Entsetzen die Banner Barands von Falkenstein und Meinrads von Kean d’Eagol, und er sah, dass Ritter der Goldenen Stadt und Bauern Allagáins Seite an Seite mit blaugesichtigen Barbaren kämpften – und jäh ging ihm auf, was dies zu bedeuten hatte.
Die Schlacht im Tal des Allair hatte nicht stattgefunden!
Trotz all seiner Intrigen, trotz des kunstvollen Lügengespinsts, das er geknüpft, und trotz des mächtigen Verbündeten, dessen er sich bedient hatte, war sein Plan fehlgeschlagen – und das, obwohl er darauf bedacht gewesen war, jede noch so kleine Unsicherheit auszumerzen. Er hatte mit Barand von Falkenstein den zwar tapfersten, aber nicht eben klügsten Fürsten des Reichs zum obersten Heerführer ernannt; er hatte Eolac den Seher auf seine Seite gebracht und dafür gesorgt, dass seine vorlaute Nichte Rionna ihm nicht mehr gefährlich werden konnte. Alles war sorgfältig und bis ins Detail vorbereitet worden – warum dann, in aller Welt, hatte der Plan nicht funktioniert?
Stattdessen schien geschehen zu sein, was noch vor wenigen Tagen undenkbar gewesen wäre: Die Ritter Allagáins und die Barbaren aus dem Waldland hatten sich miteinander verbündet, um ihm, Klaigon, die Stirn zu bieten! Wahrscheinlich, so nahm der Fürstregent an, wussten sie von der Intrige und den Täuschungen, hatten irgendwie davon Kenntnis erhalten, dass es Erle gewesen waren, die ihre Dörfer – sowohl die der Allagáiner als auch des Waldvolkes – überfallen, die Einwohner niedergemetzelt und den Verdacht dann auf die jeweilige Gegenseite gelenkt hatten. Ein unfehlbarer – so hatte es zumindest den Anschein gehabt – Plan war gescheitert.
Ein heiseres Ächzen entfuhr Klaigons Kehle, als er auf das brennende Torhaus blickte und sah, wie die feindlichen Kämpfer in die Stadt strömten. Der Fürstregent hatte keine Ahnung, wie es ihnen gelungen sein mochte, in Iónador einzudringen und das Tor in ihren Besitz zu bringen. Er wusste nur, dass die Erle sie wieder vertreiben mussten, und mit einiger Erleichterung beobachtete er, wie ein Regen vergifteter Pfeile auf die Eindringlinge niederging und hohen Blutzoll unter ihnen forderte, während sich immer noch mehr seiner schweinsgesichtigen Verbündeten dem feindlichen Heer entgegenwarfen.
Überall im nördlichen Teil der Stadt standen Häuser in Flammen, und aus den Straßen und Gassen drangen das Klirren von Waffen und das Geschrei der Kämpfenden. Nirgendwo jedoch wurde so erbittert gefochten wie in der Hauptstraße, die vom Turmplatz schnurgerade Richtung Norden verlief und die Klaigon deshalb direkt einsehen konnte: Nach einem ersten heftigen Angriff hatte sich das
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