Land der Mythen 02 - Die Flamme der Sylfen
diesem einen fragenden Blick.
»Du wirst dir wehtun«, prophezeite ihm der Wildfänger.
»Umso besser«, meinte Leffel grimmig, »denn dann will ich das Horn noch viel weniger.«
Er atmete tief durch, trat an die Abbruchkante und stellte sich auf die Zehenspitzen. Dann streckte er vorsichtig die Hände nach dem Horn aus.
Das grüne Wabern, das das kostbare Artefakt umgab, schien sich zu verdichten, und einen Augenblick lang sah es so aus, als wollte es den Gilg erfassen, um ihn abzuwehren wie vor ihm Alphart und Erwyn.
Aber im nächsten Moment durchdrangen Leffels Fingerspitzen die unheimliche Aura und berührten das Horn.
Den Gefährten standen vor Staunen die Münder offen, und selbst Leffel konnte es kaum glauben. Obwohl das grüne Leuchten das Sylfenhorn nach wie vor umgab, machte es keine Anstalten, den Gilg einzuhüllen oder ihn gar zu verletzen – und so fasste sich Leffel ein Herz, packte das Instrument mit beiden Händen und zog es scheinbar mühelos in seine Richtung.
Nur einen kurzen Augenblick lang schien es, als wollte das Leuchten das Horn nicht freigeben. Zäh wie ein Sumpfloch, das sein Opfer nicht mehr entlassen wollte, hielt es an dem kostbaren Stück fest – Leffel jedoch entwand es ihm unter Anwendung sanfter Gewalt, und im nächsten Moment drehte er sich zu seinen Freunden um, das goldene Horn Danaóns in den Händen, das trotz seines Alters so aussah, als wäre es eben erst gefertigt worden. Kein Kratzer war daran zu erkennen, kein Makel befleckte die schimmernde Oberfläche.
»Da-das ist unglaublich!«, stammelte Alphart, dessen Erstaunen keine Grenzen kannte. »Du ha-hast es geschafft! Du hast es tatsächlich fertiggebracht…«
Auch Walkar und der Kobling starrten den Gilg aus großen Augen an. Nur auf Erwyns Zügen zeigten sich widersprüchliche Gefühle, einerseits Bewunderung für den Gilg und andererseits Enttäuschung über sein eigenen Versagen – und dann pures Entsetzen, als Leffel auf ihn zutrat, das Sylfenhorn in Händen.
»Das«, sagte der Gilg leise, »gehört dir, glaube ich.«
»Nei-nein.« Erwyn schüttelte heftig den Kopf und wich zurück. Dabei starrte er auf das Horn, als wäre es eine giftige Kreatur.
»Bitte sehr«, sagte Leffel und hielt ihm das Instrument hin, wobei er sich demütig verbeugte. »Das Sylfenhorn gehört dir, Dochandar.«
Da wurde es dem Jungen zu viel. »Das ist nicht mein Name!«, platzte es aus ihm heraus, so laut, dass der arme Gilg furchtsam zusammenzuckte. »Erwyn heiß ich, das weißt du genau!«
»Schön und gut«, knurrte Alphart, »aber das ändert nichts daran, dass nur du tun kannst, was getan werden muss. Also nimm dir das verdammte Horn und blas hinein, so kräftig du kannst. Dann werden wir sehen, ob der Sylfenzauber hält, was Yvolar uns versprochen hat.«
»Das kann ich nicht«, jammerte Erwyn, während ihm Tränen in die Augen schossen.
»Du musst!«, rief Alphart und war ebenfalls nahe daran, die Beherrschung zu verlieren. Kurzerhand packte er das goldene Horn und riss es dem entsetzt quieksenden Gilg aus der Hand, warf es dem Jungen zu, sodass dieser es wohl oder übel auffangen musste, wenn es nicht zu Boden fallen sollte. »In das Horn sollst du stoßen!«, verlangte Alphart. »Es schert mich einen feuchten Dreck, wie es klingt!«
»Schön, wie… wie du willst…«, sagte der Junge resignierend, dann setzte er das magische Instrument an die Lippen, holte tief Luft und blies mit aller Kraft hinein.
Erwartungsvoll blickten ihn seine Gefährten an – aber nichts als ein klägliches Pfeifen entfleuchte dem Trichter des Horns.
»Das Ding ist alt«, meinte Alphart ermunternd. »Versuch es gleich noch mal.«
Erwyn tat, wie ihm geheißen – aber mit jedem Versuch, den er unternahm und der wenig mehr als ein jämmerliches Tröten hervorbrachte, bröckelte die Zuversicht aus den Gesichtern seiner Gefährten.
»Noch einmal!«, verlangte Alphart unerbittlich. »Los, versuch es noch einmal, und diesmal mach es richtig!«
»Es geht nicht, du verblendeter Narr!«, blaffte Erwyn ihn an und ließ das Horn sinken, während Tränen der Verzweiflung aus seinen Augen stürzten. »Hast du es denn noch immer nicht begriffen? Ich bin nicht der, für den ihr mich haltet! Ich bin kein Sylf!«
»Waaas?« Alphart, der sicher war, sich verhört zu haben, schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht…«
»Das ist es, was ich dir die ganze Zeit über sagen wollte«, erklärte Erwyn schluchzend, »aber du wolltest mir ja nicht zuhören.
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