Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
biss sich auf die Lippen und überlegte. »Kann ich dir trauen?«
Er drehte sich so, dass das Mondlicht seine Augen aufleuchten ließ. »Ja. Ich bin nämlich auch ein Monster.«
Larks Augen weiteten sich. Einen Atemzug lang starrte sie ihn stumm vor Schreck an, dann nickte sie. »Okay.«
William trat ein paar Schritte zurück, sprang den Baum an und kletterte wie eine Eidechse daran hoch. Weniger als zwei Sekunden später kauerte er Lark gegenüber auf dem Ast.
»Wow«, sagte sie. »Wo hast du so schnell klettern gelernt?«
»Ich kann’s eben«, antwortete er.
Unten winselte Cough.
Lark sauste die Zweige hinab, zückte ein kleines Messer und kappte ein Seil mit einer daran baumelnden Wasserratte, die feucht auf die Erde plumpste. Cough beschnüffelte sie, setzte sich auf die Hinterläufe und hechelte, bis ihm lange, klebrige Speichelfäden aus dem Maul hingen.
»Er frisst sie nie.« Lark zog die Stirn kraus.
Weil sie verfault waren. »Kommst du oft hierher?«
Sie nickte. »Wenn wir meine Mom nicht finden, ziehe ich vielleicht ganz hierhin. Hier ist es schön. Keiner tut mir was. Bloß das große Monster, aber meistens laufe ich weg, wenn ich ihn höre.«
»Das große Monster?«
Sie nickte. »Es jault und knurrt, wenn der Mond rauskommt.«
Die Agenten der Hand mochten Freaks sein, aber dass sie den Mond anheulten, bezweifelte er. »Hat das Monster schon immer hier gelebt?«
»Weiß nicht. Ich komme erst seit vier Wochen zu diesem Baum.«
»Wie sieht es denn aus?«
Sie zuckte die Achseln. »Weiß nicht. Es jagt mir Angst ein, und meistens laufe ich direkt zum Haus zurück.« Ihre Miene verschloss sich.
»Tut man dir denn im Haus was?«
Lark sah weg.
»Monster gehören in den Wald«, sagte sie dann. »Nicht ins Haus. Haben die Kinder dich gehänselt, als du noch ein kleines Monster warst?«
William dachte über die Frage nach und versuchte, Ordnung in das Durcheinander seiner Kindheit zu bringen, um etwas zu finden, das ein Menschenmädchen für hänseln halten mochte. »Ich bin in einem Haus mit vielen Kindern aufgewachsen, die genauso Monster waren wie ich. Wir haben gebalgt. Sehr oft.« Und wenn sie es drauf ankommen ließen, stand am Ende nur der Gestaltwandler wieder auf.
Lark rutschte näher an ihn heran. »Haben die Großen euch nicht aufgehalten? Wir dürfen uns nämlich nicht balgen.«
»Doch. Sie waren sehr streng. Wir wurden häufig geschlagen, und wenn man richtig Mist gebaut hatte, wurde man ganz alleine in einer Zelle angekettet. Dann hat tagelang keiner mit einem geredet.«
Lark blinzelte. »Wie habt ihr zu essen bekommen?«
»Durch einen Schlitz in der Tür.«
»Und das Klo?«
»Dafür gab’s ein Loch im Boden.«
Sie schürzte die Lippen. »Keine Dusche?«
»Nein.«
»Fies. Wie lange warst du da drin?«
Er lehnte sich zurück und ließ ein Bein nach unten baumeln. »Das Längste waren drei Wochen. Glaube ich. Die Zeit vergeht anders, wenn man in dieser Zelle sitzt.«
»Weswegen haben sie dich eingesperrt?«
»Weil ich ins Archiv eingebrochen bin. Ich wollte rauskriegen, wer meine Eltern sind.«
»Hast du?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Dann hast du nie einen Dad gehabt? Oder eine Mom?«
William schüttelte wieder den Kopf. Dieses Gespräch ging tiefer als geplant.
»Wie kannst du denn keine Mom haben? Was, wenn du mal krank wirst. Wer bringt dir dann Medizin?«
Niemand. »Was ist mit deiner Mom? Ist sie nett?«
Der Hauch eines Lächelns flog über Larks Lippen, verwandelte sich aber in ein gequältes Stirnrunzeln. Anscheinend versuchte sie, nicht zu weinen.
»Meine Mom ist sehr nett. Sie achtet darauf, dass ich mir die Haare bürste. Und sie nimmt mich in den Arm. Ihre Haare riechen nach Äpfeln. Sie kocht leckeres Essen. Manchmal setze ich mich zu ihr in die Küche, wenn sie kocht, dann stellt sie mir heißen Kakao hin. Den kriegt man nicht so leicht, weil Onkel Kaldar dafür immer extra ins Broken muss, deshalb gibt’s Kakao nur, wenn was Besonderes ist, zum Geburtstag oder an Weihnachten. Aber ich bekomme oft Kakao …« Lark klappte den Mund zu und sah ihn an. »Weißt du, wann du Geburtstag hast?«
Er nickte. »Ja.«
»Hast du auch schon mal Geschenke bekommen?«
William atmete tief ein. Sie stellte heikle Fragen. »Ich bin ein Monster, weißt du noch? Die Geburt kleiner Monster feiern die Leute nicht so gerne.«
Lark schaute abermals weg.
Super. Jetzt hatte er dem Kind Angst eingejagt. Gut gemacht, Arschloch .
William streckte die Hand aus
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