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Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Titel: Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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erstreckten die Schlieren sich rechts und links des Kopfteils über die Dielen, als hätte hier jemand ein Blutbad angerichtet und anschließend einen Tanz aufgeführt.
    »Das Bett«, murmelte Richard.
    Er packte eine Seite der zerfetzten Matratze, Cerise stemmte die andere. Die Matratze gab nach und hob sich vom Boden. Die Unterseite verunstaltete ein großer, weicher Batzen Schimmel. Das sah nicht gut aus. Cerise beugte sich vor und rieb den Schimmel mit dem Ärmel ab. Dunkelbraun. Blut. Niemand konnte so stark bluten und lebend davonkommen.
    Es gab keine Pest, kein Fieber, keine Krankheit. Ihre Großeltern waren ermordet worden.
    Sie sah Richard an. Seine Miene verriet unterdrückte Wut.
    »Die Familie hat uns belogen«, sagte sie.
    »Ja.«
    Die Küche brummte vor wütenden Stimmen. Sechsundvierzig bis zum Anschlag angespannte Erwachsene versuchten einander zu übertönen. Die Beleidigung der Familie war monumental. Gustave entführt, Genevieve verschmolzen, das Haus der hoch geschätzten Großeltern geplündert.
    Cerise ließ ihrem Zorn freien Lauf. Sie mussten sich erst mal austoben, bevor sie vernünftig mit ihnen reden konnte. Sie hätte jetzt gerne William an ihrer Seite gehabt, aber der musste draußen bleiben. Dies war Sache der Mars.
    »Sie kamen auf unser Land«, dröhnte Mikitas Stimme. »Unser Land! Sie haben unsere Leute verschleppt. Wir sind Mars. Niemand tut uns so was an und kommt ungeschoren davon. Wir machen sie fertig, und zwar gründlich.«
    »Wir gehen mit allem, was wir haben, auf sie los«, schrie Kaldar.
    »Ihr seid doch alle nicht ganz bei Trost.« Joanna, eine der älteren Frauen, stieß sich von der Wand ab. Sie war Tante Petes Cousine. »Wir müssen an unsere Kinder denken. Immerhin reden wir hier über die Hand.«
    Kaldar wandte sich ihr zu. »Du hast drei Töchter. Wie zum Teufel soll ich die verheiraten? Wir haben kein Geld, und wir haben keine Aussichten. Zurzeit ist der einzige Grund, aus dem irgendwer in unsere Familie einheiraten will, dass jeder, wenn was passiert, mit unserer Unterstützung rechnen kann. Was soll ich deiner Meinung nach machen, wenn deine Älteste sich bei mir ausheult, weil sie sich verliebt hat, der Mann sie aber nicht will und wir nicht mal für die Mitgift aufkommen können? Liebe vergeht, die Angst bleibt.«
    »Wenn er sie wirklich liebt, spielt der Name keine Rolle«, schrie Joanna. »Nur die Liebe zählt.«
    »Wirklich? Du sprichst aus Erfahrung, wie? Und wo zur Hölle steckt dann dein Bobby? Und warum schert er sich nicht um seine Kinder?«
    »Lass meine Kinder aus dem Spiel!«
    »Wir müssen kämpfen.« Scharf wie ein Reibeisen schnitt Murids Stimme durch das Getöse. »Wir haben keine Wahl.«
    »Tante Murid.« Cerise gab sich Mühe, es richtig herauszubringen, freundlich, aber mit einer gewissen Schärfe. »Du hast uns angelogen.«
    Sofort herrschte Stille im Raum.
    »Du, Tante Pete, meine Eltern. Ihr habt uns alle angelogen. Wir waren heute Morgen in Sene. Meine Großeltern sind nicht an der Pest gestorben.«
    Tante Pete sah Murid an.
    »Wir haben das Blut gesehen«, sagte Richard. »Zu viel Blut. Und Krallenspuren an den Wänden.«
    Murid hob den Kopf. »Es gab kein Fieber. Dein Großvater ist durchgedreht und hat deine Großmutter im Schlafzimmer ermordet.«
    Cerise überlief ein Kälteschauer. »Weshalb?«
    »Wissen wir nicht«, antwortete Tante Pete. »Er hat sich in dem Frühjahr und Sommer immer mehr zurückgezogen. Zum Haupthaus kam er nur noch selten. Deine Mutter hielt ihn für depressiv. Und als dein Vater und sie deinen Großeltern daraufhin einen Besuch abstatteten, fanden sie deine tote Großmutter. Er hatte sie wie eine Strohpuppe zerfetzt. Ihr habt ihn alle sehr geliebt, deshalb haben wir euch den Schmerz erspart und euch nicht gesagt, was er getan hatte.«
    »Aber es wurden zwei Särge beigesetzt.« Cerise ließ Tante Murid nicht aus den Augen.
    »Dein Vater muss Vernard getötet haben«, sagte Murid. »Zumindest ist das die logischste Erklärung. Ich habe die Leichen nie gesehen, und Gustave wollte nicht über das reden, was in Sene geschehen war. Er sagte bloß, es würde keine Beisetzung mit offenen Särgen geben. Ich weiß nicht, ob er es zu seinem eigenen Schutz oder aus Rache getan hat. Ich weiß nur, dass er mit zwei Särgen zurückkam, deren Deckel fest zugenagelt waren.«
    Vor Cerise entstand das Erinnerungsbild der Krallenspuren an den Wänden, das sie einfach nicht abschütteln konnte. Die Klauen. Das Monster im Wald. Ihre

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