Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
Hund bleibt immer in den Wäldern, damit er unsere Hunde nicht aufstört. Er ist ganz brav. Siehst du?« Cerise stand auf und öffnete das Fenster. William trottete ins Zimmer, ein riesiger Schatten, und legte neben Lark den Kopf aufs Bettlaken. Die Kleine streckte die Hand aus und tätschelte sein Zobelfell. »Er ist nett.«
»Und jetzt …« Cerise schüttelte die Kissen auf. »… versuch weiterzuschlafen.«
Sie glitt neben Lark unter die Decke. William sprang zu ihren Füßen aufs Bett und lag still.
»Benimm dich«, ermahnte sie ihn.
Er gähnte, zeigte ihr weiße Zähne, die so groß waren wie ihr kleiner Finger, und schloss klickend das Maul.
»Ceri?«
»Hmm?«
»Du lässt nicht zu, dass Mom so bleibt, oder?«
»Nein.«
»Du musst sie töten.«
»Das werde ich, Sophie. Das werde ich.«
»Aber bald, ja? Ich will nicht, dass sie leiden muss.«
»Sehr bald. Schlaf jetzt. Morgen früh tut es schon nicht mehr so weh.«
Cerise schloss die Augen, spürte, wie William Platz für ihre Füße machte, und entspannte sich. Morgen stand ihr ein Höllentag bevor, jetzt aber, mit dem riesigen Wolf zu ihren Füßen, fühlte sie sich seltsam sicher.
Als Cerise aufwachte, konnte sie William nirgends sehen. Er war fast die ganze Nacht bei ihnen geblieben. Als sie vor Sonnenaufgang schon mal wach geworden war, hatte sie ihn noch gesehen, da war er noch da gewesen, eine große, zottige Bestie auf ihrem Bett. Doch jetzt war er fort.
Verrückt, dachte sie, während sie sich anzog. Sie wusste, dass er sich irgendwann in ein Tier verwandeln würde. Schließlich machten das Gestaltwandler so. Aber dabei zuzusehen war, als würde sie Raste Adir ins Gesicht blicken. Diese Art Magie war so alt, so primitiv, dass sie nicht das Geringste mit den sauberen Gleichungen zu tun hatte, die ihr Großvater ihr beigebracht hatte. Hier vernahm sie das ungestüme, urtümliche Brausen einer Lawine oder eines Orkans.
Sie zerbrach sich den Kopf über das Journal, das sie in Lagars Geist gesehen hatte. Es sah genauso aus wie eines der Tagebücher ihres Großvaters, in denen er über seine Pflanzen und Forschungen Buch geführt hatte. Dieses Journal musste der Schlüssel sein, das entscheidende Teil in diesem großen, verworrenen Puzzle.
Sie fand Richard im Hof vor dem Haus, wo er André beim Schärfen seiner Machete auf die Finger schaute.
»Ich muss nach Sene«, teilte sie ihm mit. »Willst du mich begleiten?«
Er fragte nicht nach dem Grund, ließ nur zwei Pferde kommen, und sie brachen auf.
Eine halbe Stunde später stand Cerise auf der verfallenen Veranda von Sene Manor. Einst war sie in diesem Haus so glücklich gewesen, damals, als der Garten bestellt, der Weg zum Bach gefegt war und die Wände in fröhlichem Gelb gestrahlt hatten. Gelb wie die Sonne , hatte ihr Großvater gesagt, als er mit dem Streichen fertig war. Großmutter hatte nur die zarten Schultern gezuckt. Gratuliere, Vernard. Du hast das Haus in ein Riesenküken verwandelt .
Cerise hörte noch die gedämpften Echos ihrer Stimmen, aber sie waren längst fort. Lange her, ein Raub der Pest. Sie hatte nicht mal ihre Leichen gesehen, lediglich die geschlossenen Särge. Als man ihre Körper fand, hatte die Verwesung längst eingesetzt. Ihr Vater meinte, ihr Zustand sei so miserabel, dass sie sie unmöglich ausstellen könnten. Also hatte sie sich von Holzdeckeln verabschieden müssen.
Jetzt war von ihren Großeltern nur noch die leere Hülle ihres Hauses übrig, verwaist und vergessen. Und der Garten, einstmals üppig, war nun verdorrt, da Lagar ihn mit Stumpf und Stiel gerodet hatte.
Ein heller roter Fleck erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie kniff die Augen zusammen und sah hin. Moos. Beerdigungskraut, wie das Zeug hier hieß. Kurz und stoppelig wuchs es in den Tiefen des Moors und zehrte von Aas, überwucherte die verendeten Tiere so dicht, dass man nach wenigen Tagen nurmehr eine rote Decke und darunter eine Wölbung erkennen konnte. Seltsam, so etwas hier im Garten zu finden.
Nickend wies Richard auf ein Büschel Rotwurz vor der Veranda. »Lagars Schläger haben was übersehen.«
»Ich hasse dieses Gewächs.« Cerise seufzte.
»Ja, ich erinnere mich. Der Tee gegen Ohrenschmerzen.« Richard nickte. »Den ließ uns Großvater jeden Morgen trinken. Aber es half. Ich kann mich nicht erinnern, jemals Ohrenschmerzen gehabt zu haben.«
»Ich weiß noch, dass mir davon immer speiübel wurde. Vermutlich hätte ich lieber Ohrenschmerzen gehabt als diesen Tee.«
»Na, ich
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