Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
weiß nicht.« Richards schmale Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »So schlecht war der gar nicht.«
»Er war schrecklich.« Cerise schlang die Arme um ihren Leib.
Richard nickte in Richtung Haustür. »Je länger du es vor dir herschiebst, desto schwerer wird’s dir fallen, da reinzugehen.«
Er hatte recht. Cerise holte tief Luft und ging über die blutbesudelte Veranda zur schief in ihren Angeln hängenden Tür. Keine weitere Verzögerung. Sie trat ein.
Das Haus empfing sie mit Düsternis und dem modrigen, dumpfen Geruch von Schimmel. Rechts von ihr befand sich ein Wohnzimmer. Sie ging daran vorbei. Im Korridor lag ein ziegelroter Teppich, zerrissen und schmutzig, kaum mehr als ein alter Lumpen. Durch die Risse schimmerten die von der Feuchtigkeit verzogenen Holzdielen.
Es war kalt im Haus. Der Boden unter ihren Füßen knarrte und bebte. Richard blieb hinter ihr stehen und spähte neugierig ins Wohnzimmer.
»Kein Ungeziefer«, stellte er fest. »Keine Kothaufen, keine Bissspuren. Vielleicht ist die Pest immer noch hier.«
»Oder es ist nichts als ein totes Haus.« Die Bewohner waren gestorben, und das Haus verfiel, ohne den Willen oder die Fähigkeit, Leben zu beherbergen. »Je eher wir hier wieder rauskommen, desto besser.«
Vor ihr zeichnete sich eine helle Tür ab. Die Bibliothek. Ihr Gedächtnis präsentierte ihr ein Bild aus der Erinnerung: ein sonniger Raum, ein einfacher Tisch, an den Wänden Regale, vollgestopft mit Büchern, und ihr Großvater, der sich beschwerte, dass die Sonne die Druckerschwärze aus den Seiten bleichen würde …
Mit den Fingerspitzen stieß Cerise die Tür auf, die in quietschenden Scharnieren aufschwang. Der Eichentisch war zerstört, hier und da lagen die Trümmerhaufen von aus den Wänden gerissenen Bücherregalen, die Bücher waren über den Fußboden verstreut, manche offen, manche geschlossen. Jemand hatte die Bibliothek nicht nur geplündert, sondern verwüstet, so als hätte er mit außerordentlichen Körperkräften seine Wut daran ausgelassen.
Hinter ihr gab Richard ein leises Geräusch von sich, das sie an Williams gelegentliches Knurren erinnerte. Die Zerstörung von Großvaters Bibliothek war, als hätte man sein Grab geöffnet und auf seinen Leichnam gespuckt. Der Vorgang glich einer Grabschändung.
Cerise ging vor dem Bücherhaufen in die Hocke und berührte einen der Ledereinbände. Dicker Schleim besudelte ihre Finger. Sie hob die Buchkante an und zog, eine Seite riss, und das Buch löste sich vom Boden, wobei Papierreste an den Dielen kleben blieben. Ein langer, grau-gelber Schimmelstreifen zog sich quer über den Text zum Einband und hielt die Seiten zusammen.
»Dieses Chaos ist alt«, brummte Richard.
»Ja. Spider war das nicht.«
Schrecken regte sich in ihr. Die Bibliothek konnte jeder heimgesucht haben – immerhin stand das Haus schon seit Jahren leer. Trotzdem stimmte hier etwas nicht. Ein Einbrecher auf der Suche nach Diebesgut hätte doch niemals die Bücher zerfetzt.
Cerise umkreiste den Bücherhaufen, dann sprang sie über den ruinierten Tisch, um einen besseren Blick auf die Wände zu haben, rutschte aber auf einem Schleimbatzen aus und wäre beinahe auf den Hintern gefallen. Tiefe Kerben verunzierten die alten Wände: lange, gezackte, parallele Streifen. Krallenspuren. Sie spreizte die Finger, um die Schäden in der Wand zu messen, doch ihre Hände waren nicht groß genug. Was zum Teufel …?
»Hier, sieh dir das mal an.«
Mit der für ihn typischen Eleganz setzte Richard über die Bücher und berührte die Spuren. »Ein sehr großes Tier. Schwer. Schau nur, wie tief die Kratzer sind. Ich würde sagen, sechshundert Pfund und mehr. Aber kein Tier hätte Grund, ins Haus zu kommen. Es gibt hier nichts zu fressen, und das Gebäude steht mitten auf einer Lichtung. Und wenn ein Tier das getan hätte, gäbe es hier noch mehr Hinweise: Exkremente, Fell, weitere Krallenspuren. Sieht ganz so aus, als wäre dieses Tier in die Bibliothek eingebrochen, um sie zu verwüsten und gleich wieder zu verschwinden.«
»Als wäre es mit der Absicht eingedrungen, die Bücher zu ruinieren.«
Richard nickte.
»William meinte, er hätte im Wald ein Monster gesehen, das aussah wie eine große Eidechse.«
Richard zog die Stirn kraus. »Was hat er denn im Wald gemacht?«
»Lark hat ihm da was gezeigt. Dann griff das Ungeheuer Lark an, und William hat es in die Flucht geschlagen. Anscheinend mithilfe von Großmutter Az.«
»Du magst den Blaublütigen«,
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