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Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Titel: Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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Schlaflied. Er hat es mir immer vorgesungen, als ich noch klein war.« Sie stieß sich vom Tisch ab. »Wir berufen besser den Familienrat ein.«
    Zwanzig Minuten später versammelte sich die komplette Familie Mar in der Bibliothek, und Cerise las in der von menschlichem Atem schwangeren Luft mit flacher Stimme aus dem Journal vor.
    » Die Heilkunst. So alt wie der menschliche Körper. Sie begann mit dem ersten Primitiven, der sich, von Schmerzen geplagt, eine Handvoll Gras in den Mund stopfte, kaute und den Schmerz gelindert fand. Lange Zeit traten wir in die Fußstapfen dieses Primitiven und hielten an der Vorstellung fest, dass es Heilung nur geben kann, wenn man dem Körper ein fremdes Agens zuführt. Wir erfanden Medikamente, Salben, Schienen, Gipsverbände, Schlingen und zahllose weitere Heilmittel, haben uns aber nie dem Heilungsprozess selbst zugewandt. Denn was bedeutet Heilung anderes als die selbsttätige Korrektur einer Unzulänglichkeit durch den Körper ? Und was kann Medizin Besseres bewirken, als den Organismus zur Regeneration anzuregen ?
    Heute behaupte ich, Vernard Dubois, Mann und Heiler, dass der menschliche Körper alles zur Selbstheilung Erforderliche besitzt, um jedes Leiden und jeden Defekt ohne chirurgischen Eingriff oder ärztlichen Beistand allein zu beheben . Ich behaupte dies in dem Glauben, dass ich und meinesgleichen eines Tages überflüssig sein werden. Im Namen dieses ruhmreichen Tages schlage ich nun den Weg der Forschung und des Experiments ein, einen steinigen Weg voller Selbstzweifel, Fehler und Verfolgung. Jeder soll wissen, dass ich jenen, die mich verdammen werden, vergebe, weil ich ihre Beweggründe verstehe. Mögen sie auch fehlgeleitet sein, liegen ihnen doch die Interessen der Menschheit am Herzen, und ich trage ihnen nichts nach .
    Von den Göttern erbitte ich Vergebung für meine vergangenen Übertretungen. Meine Frau und meine Tochter indes bitte ich um Vergebung für zukünftige Verfehlungen. Ich bete, dass ihr eines Tages versteht, warum ich weitermachen musste .«
    Sie las weiter. Seitenweise Formeln und Gleichungen. Manche nickten – Tante Pete, Mikita, Ignata. Aber die meisten schauten genau wie er, William: ausdruckslos. Soweit er es sich zusammenreimen konnte, hatte Vernard mikroskopisch kleine Algen entdeckt, die die Regeneration anregten. Diese Algen gaben Magie ab, die den Körper veränderte und den Heilungsprozess beschleunigte. Vernard hatte sie zuerst auf Mäuse angesetzt, war aber an allen größeren Lebewesen gescheitert. Die magischen Algen starben im Körperinnern, und er bekam nicht genug davon in seine Versuchstiere, um daran etwas zu ändern. Er versuchte, die Algen zu verfüttern, probierte es mit Injektionen und Bluttransfusionen, aber nichts davon genügte.
    Cerise hielt inne. »Hier ist eine Seite, auf der nur ein Wort steht: VERBANNUNG . Der nächste Eintrag lautet: Wir sind in den Sümpfen angekommen . In dem Wäldchen hinter unserem neuen Zuhause habe ich ein eigenartiges Moos entdeckt, rot und äußerlich Fell ähnlich. Es wächst auf dem Waldboden und bildet in der Mitte eine unnatürliche Erhebung. Bei der Untersuchung des Hügels stieß ich auf ein totes, teilweise verwestes Kaninchen. Das Moos ist in hohem Maße mit Eno angereichert. Der junge Mann, der für Gen schwärmt, Gustave heißt er, glaube ich, hat mir erzählt, dass die Einheimischen es Beerdigungskraut nennen und es aus Aberglauben ängstlich meiden .«
    Cerise verstummte, schluckte mühsam und las dann weiter.
    William klinkte sich aus, hörte zu, ohne ein Wort zu verstehen. Es ging um dieses Moos und um die Verdauungssäfte in einem Hohlraum sowie um die Kombination des Mooses mit der Pflanze, mit der er vorher zu tun gehabt hatte. Schließlich hob er die Hand, kam sich dabei vor wie ein Zehnjähriger hinter seinem Schulpult. »Kann das mal jemand erklären?«
    Cerise hielt inne.
    »Es gibt eine Pflanze, die aussieht wie Moos«, antwortete Petunia und kratzte an ihrer Augenklappe. »Wir nennen sie Beerdigungskraut. Eigentlich ist es gar keine richtige Pflanze, eher eine seltsame Kreuzung aus Pflanze und Tier. Es gibt sie nur im Moor, und zum Überleben benötigt sie Magie. Das Beerdigungskraut lebt von Leichen. Seine Sporen setzen sich auf den Kadaver, die Triebe dringen dann durch die Haut in das tote Tier ein und saugen die Leichensäfte auf, nehmen sich, was sie brauchen, und geben den Rest an den toten Körper zurück.«
    »Wie ein Filter?« William runzelte die

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