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Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Titel: Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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bevor ich es zu Papier bringe …
    Die Narbe am Schienbein ist verschwunden. Die hatte ich schon als Kind …
    Dann nahm ich sie auf den Arm und tanzte mit ihr durchs Haus, tanzte und tanzte immerfort. Sie lachte und warf den Kopf zurück … Ihr Götter, so habe ich sie nicht mehr lachen sehen, seit wir zwanzig waren …«
    Cerises Stimme fuhr fort, tonlos und gleichmäßig, gab sie Vernards Gedanken wieder, während er immer tiefer im Delirium versank. Die Kiste machte süchtig, und Sucht gab es nicht umsonst. Sie kostete Vernard den Verstand.
    » Ich werde handgreiflich. Ich habe meine Stimmungen, meinen Zorn allmählich nicht mehr unter Kontrolle. Als Genevieve uns heute Morgen Getränke brachte, habe ich sie angebrüllt. Dabei hatte sie lediglich meinen Tee verschüttet. Ich wollte gar nicht ausrasten, aber mein Körper tat es anscheinend von ganz alleine, während ich aus irgendwelchen Bewusstseinstiefen zuschaute. Als würde ich ein Boot mit geborstener Ruderpinne steuern …
    Das Heilmittel wirkt nicht. Das Gift erweist sich als zu stark …
    Zu spät. Es ist zu spät für mich.
    Zu spät … Ungeduldig. Zu ungeduldig. Zu viele Besuche im roten Nebel. Hätte ich doch nur noch einen Monat gewartet, bis das Heilmittel seine Wirkung entfaltet, hätte ich mich doch nur auf drei Ausflüge beschränkt und nicht mehr … Hätte ich, hätte ich …
    Ach, hätte ich Kinder gehabt und ein Weib
    Doch nun sterb ich einsam und ohne Lieb
    Es ist zu Ende, legt zur Ruh meinen Leib
    Es ist zu Ende …
    Das Schwein liegt tot in seinem Pferch. Sein geschundener Körper bestand nur noch aus Blut und Wunden. Ich habe das Kälbchen in Verdacht. So wie es mich ansieht … «
    Cerise schloss lange die Augen, dann las sie weiter.
    » Als ich heute den Futtertrog für das Kalb auffüllen wollte, hat es mich zu rammen versucht. Ich sah es kommen, seine gelben Augen glänzten vor brennender Gier. Es galoppierte auf mich zu, seine Hufe trommelten das Signal zum Angriff auf den Boden. Es wollte mich umbringen. Ich rührte mich nicht. Ich konnte nicht . Und ich wollte nicht. Als das Kalb kam, übernahm mein Körper die Kontrolle und drehte sich weg . Meine Hände schlossen sich um seinen Hals und gruben sich in sein Fleisch. Blut strömte über meine Finger. Der Geruch … oh, dieser Geruch, giftig und widerlich. Er packte mich und lenkte mich, ich konnte seinem Zugriff unmöglich entrinnen .
    Ich habe das Kalb vergraben. Meine rationale Seite ist entsetzt beim Anblick seines Kadavers, seinem Geruch, dem Geschmack von rohem Fleisch auf der Zunge, aber die Stimme der Vernunft wird immer leiser . Das logische Zentrum meines Seins erodiert, und an seine Stelle tritt ein rasender Hund. Mir fehlt die Macht, seine Raserei zu zügeln. Aber sie hat sich wirklich bewährt. Nur einmal und keinmal mehr. Mein Geschenk. Mein Fluch . Meine arme, süße E, trage es in dir. Ich wollte so viel für dich und habe dir so wenig gegeben. Ich bin nur ein selbstsüchtiger, müder, dummer alter Mann, der auf den Trümmern seines Elfenbeinturms sitzt. Ich habe mich mit den Naturkräften angelegt und wurde für zu leicht befunden. Ich hätte es sterben lassen sollen, aber ich konnte es nicht. Ich würde ja um Vergebung bitten, aber ich weiß, du hast nichts zu vergeben. Ich liebe dich. Ihr Götter , wie hoffnungslos unangemessen sich diese einfache Erklärung doch anfühlt.
    Der rote Nebel kommt, er wird mich bald holen. Ich habe es versteckt. Dort, wo der Fischer wartet.
    Cerise hielt inne. »Das ist der letzte verständliche Eintrag. Auf den nächsten beiden Seiten steht immer wieder armer Vernard , dann löst sich alles in Gekritzel auf.«
    Erschöpft sank sie in ihrem Sessel zurück.
    Williams Gedanken rasten. Das wollte Spider also. Die Kiste.
    Wenn die Freaks der Hand in der Kiste schmorten, würden sie noch psychotischer wieder rauskommen, als sie’s vorher schon waren. Ihre Wunden würden binnen Sekunden heilen, und sie würden töten, töten, töten, ohne jemals wieder damit aufzuhören. Louisiana wollte eine Waffe gegen Adrianglia. Und hier war sie.
    Vernard war nicht gestorben. Dieser Gedanke schoss ihm durch den Kopf und erleuchtete die bisher vereinzelten Puzzleteile. Natürlich war Vernard nicht gestorben. Nicht nach den vielen Ausflügen in die Kiste. Dadurch wurde er so gut wie unzerstörbar.
    »Heute ist der Tag der Wahrheit«, sagte Großmutter Az.
    William blickte auf. Sie stand mitten im Raum, verhutzelt und uralt wie stets, aber in ihren

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