Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
packten die Agenten der Hand das Seil und zogen mit muskelnschwellender, sehnensprengender Anstrengung. Ein riesiger weißhaariger Agent – William hatte ihn Karmash genannt – vorne brüllte auf Gallisch »Noch mal!«, und alle zogen erneut.
Es war nicht fair, dass sie ihre Eltern entführten, Lark ein Monster war und Erian sie verraten hatte. Es war nicht fair, dass sie ihre Familie in ein Massaker führen musste. Und es war nicht fair, dass sie William liebte und dass er nun womöglich sterben musste.
Cerise schloss für eine Sekunde fest die Augen. Reiß dich verdammt noch mal zusammen !
Wo blieb Hugh mit seinen Hunden? Cerises Blick schweifte nach links. Dort, eingeklemmt zwischen Richard und Mikita, lag Erian. Sein Gesicht wirkte selbst unter der Tarnfarbe blass.
Seit zwölf Jahren war er ihr Bruder. Sie aßen am selben Tisch, gingen unter demselben Dach zu Bett. Doch dann hätte er ums Haar Urow getötet, war schuld daran, dass Clara ihr Bein verloren hatte, hatte zugelassen, dass die Hand ihre Eltern verschleppte … Und wofür? Damit er Lagar Sheerile sterben sah? Tief drinnen tat es verdammt weh, so als würde ihr jemand mit einer rostigen Säge die Brust spalten.
Heute Morgen hatte sie ihm einen Besuch abgestattet. Er starrte sie an wie eine Fremde. Sie teilte ihm mit, dass die Familie seinen Kopf verlangte, er es sich jedoch aussuchen könnte: Ob sie mit ihm rausgehen und ihn wie einen räudigen Hund abknallen würden. Oder ob er gegen die Hand kämpfen und mit dem Schwert in der Hand sterben wollte. Wie sie erwartet hatte, entschied er sich für das Schwert.
Die Oberfläche des Teiches brodelte. Dann tauchte etwas Festes auf, ein dunkles Rechteck, von dem sich Schleimbatzen vom Grund des Gewässers ergossen. Der intensive Geruch faulender Algen verbreitete sich über die Lichtung. Sie mussten jetzt los. Cerise wünschte, die Hunde wären schon hier, aber irgendwas hatte Hugh aufgehalten, und ihnen blieb keine andere Wahl.
Cerise hob den Arm, und hinter ihr brachen in gezackter Linie die Mars aus dem Morast. Sie riskierte einen kurzen Blick auf die grimmigen, bemalten Gesichter. Familie …
Die Agenten zerrten immer noch an den Seilen, ohne ihre Anwesenheit zu registrieren. Cerise erhob sich auf ein Knie und machte sich auf den ersten wahnsinnigen Vorstoß gefasst …
Von links wurden Schmatzgeräusche laut, als würde dort jemand durch den Schlamm waten und dabei an seinen Stiefeln das halbe Moor mitschleppen.
Schlapp, schlapp, schlapp .
Cerise fiel in ihr Loch zurück.
Karmash hob die Hand und drehte sich in die Richtung, aus der das Geräusch kam.
Eine große, schlaksige Gestalt im roten Mantel schritt den Hügel hinab.
Emel! Große Götter, warum?
Emel blieb stehen, raffte den Saum seines scharlachroten, längst mit Schlamm getränkten Ornats, schlappte an den verdutzten Agenten vorbei und wandte sich dem Morast zu, in dem die Mars steckten. »Cerise!«, rief er. »Ich muss mit dir reden!«
Die Agenten glotzten ihn an.
Ich bringe ihn um . Cerise knirschte mit den Zähnen. Ein toter Mann. Er ist ein toter Mann .
»Die Zahlung ist immer noch nicht eingegangen«, sagte Emel. »Normalerweise beginne ich an diesem Punkt damit, die Verwandten der schuldigen Partei zu töten, aber da ihr meine Verwandten seid, ist die Angelegenheit ein bisschen komplizierter.«
Neben ihr wälzte sich Richard auf den Rücken und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Sein Gesicht nahm einen gelassenen Ausdruck an, während er langsam im Morast versank. Offensichtlich war das hier einfach zu viel für ihn.
Emel stopfte sich den Saum in die Armbeuge und legte die Finger seiner Hände gegeneinander. »Nun, also, ich glaube, wir hatten eine Vereinbarung über eintausendsiebenhundertfünfundzwanzig US-Dollar. Fällig gestern. Ich würde dieses Problem gerne hier und heute lösen, ehe ihr euch womöglich in den fast sicheren Tod stürzt. Nicht, dass ich euch untergehen sehen möchte, keineswegs, aber falls ihr hier doch verscheidet, wäre unsere Vereinbarung null und nichtig, und ich würde nur sehr ungern neu verhandeln. Ich hasse es, grob werden zu müssen, aber ich hätte jetzt gerne mein Geld. Bitte.«
Glaubte er etwa, sie hätte es dabei? Die Hand würde ihn sowieso nicht davonkommen lassen. Er würde hier draufgehen. Warum, um alles in der Welt, tat er sich das an?
Karmash sah an Emel vorbei und blickte sie an. Sie erkannte, dass sie aufgeflogen waren.
Aber um zu ihnen zu gelangen, musste die Hand
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