Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
flüsterte Großmutter Az. »Armes, armes Kind …«
Mit dem Beutel des Spiegels stapfte William den Hügel hinab, Gaston hinterdrein.
»Das war’s also?«
»Das war’s. Wir packen unseren Kram zusammen und kämpfen gegen die Hand.«
Gaston ließ sich das durch den Kopf gehen. »Und? Gewinnen wir?«
»Nee.«
»Und wo gehen wir jetzt hin?«
»Wir sorgen dafür, dass diese wahnsinnige Familie nicht ausgelöscht wird, wenn wir doch gewinnen.«
Gaston zog die Stirn kraus.
»Absicherung«, erklärte William ihm.
»Wartet!«, erklang Larks Stimme hinter ihnen.
William drehte sich um. Lark stürmte den Hang herunter, die mageren Beinchen blitzten. Sie bremste vor ihnen und drückte William einen Teddybär in die Hand.
»Für dich. Damit du nicht stirbst.«
Sie wirbelte herum und rannte den Hügel wieder hinauf.
William besah sich den Teddy. Er war alt und stellenweise bis aufs Gewebe abgewetzt, unter dem er die Füllung durchscheinen sah. Es war derselbe, den sie in ihrem Baum gehabt hatte.
Er öffnete seinen Beutel und schob den Teddybär ganz vorsichtig hinein. »Komm jetzt.«
Sie gingen weiter, weg vom Haus, tiefer in den Sumpf hinein.
»Wo der Fischer wartet«, zitierte er. »Sagt dir das was?«
»Das könnten viele Stellen sein. Es gibt jede Menge Fischer dies und Fischer das im Sumpf.«
»Aber Vernard kennt sich nicht so gut aus. Die Stelle muss also ganz in der Nähe sein. Irgendwo, wo deine Familie häufig hingeht.«
Gaston runzelte die Stirn. »Könnte Drowned Dog Puddle sein. Kein guter Ort. Die Thoas kamen früher zum Sterben dorthin.«
»Erzähl.«
»Ein Teich. Auf seiner Westseite gibt’s einen Hügel, der fast bis ans Wasser reicht. Durch den ganzen Torf ist es rabenschwarz. Wie tief es ist, weiß keiner. Man kann da nicht schwimmen, und außer Schlangen gibt’s nichts Lebendiges. Der Hügel und der Teich gehen in Morast, Zypressen, Schlamm, Bächen und dann in den Fluss über. Die Familie pflückt dort jedes Jahr die Weinbeeren, die an dem Hügel da wachsen.«
»Und was hat’s mit dem Fischer auf sich?«
»Am Teich wächst ein alter Baum halb übers Wasser, der bei den Leuten hier der Schwarze Fischer heißt.«
»Hört sich passend an.« William sah sich um. Hohe Kiefern umgaben sie. Das Haus war nicht mehr zu sehen. Er griff in seinen Beutel, wobei er darauf achtete, dem Teddybär keinen Schaden zuzufügen. »Wie sieht’s mit deiner Handschrift aus?«
»Hm. Ganz okay, denke ich.«
William brachte ein kleines Notizbuch samt Stift zum Vorschein und gab beides Gaston. »Setz dich.«
Gaston hockte sich auf einen Baumstamm. »Warum brauche ich das?«
»Weil Vernards Journal sehr lang und meine Handschrift scheiße ist. Ich muss mir das aufschreiben, weil ich nichts davon kapiere, und das heißt, dass mein Gehirn bald alles wieder vergisst.«
Der Junge blickte ihn blinzelnd an. »Was?«
»Schreib«, beschied William ihn. »Die Heilkunst. So alt wie der menschliche Körper. Sie begann mit dem ersten Primitiven, der sich, von Schmerzen geplagt, eine Handvoll Gras in den Mund stopfte, kaute und den Schmerz gelindert fand …«
28
William kauerte auf dem Deck des Kahns. Vor ihm dräute das Ufer, schwarz und grün im trüben Licht der Morgendämmerung. Cerise stand neben ihm, ihr Duft hüllte ihn ein. Hinter ihnen warteten die Mars.
»Bist du sicher?«, fragte Cerise.
»Ja. Hier trennen sich unsere Wege. Wenn ich Spider ausschalte, bricht die Hand auseinander.« Aber um an Spider ranzukommen, brauchte er ein Ablenkungsmanöver, und dafür sorgten die Mars.
»Stirb mir nicht«, flüsterte sie.
»Werd ich nicht.«
Er zog sie an sich und küsste sie, sie schmeckte so herb und lebendig, dass es fast wehtat. Das war’s dann also. Zu schön, um wahr zu sein, das hatte er gewusst. Sie war sein, doch nun würde er sie verlieren.
Der Kahn schaukelte nah ans Ufer. Er sprang, überwand den sechs Meter breiten Streifen Wasser und verschwand in den Wäldern.
Zwanzig Minuten später ging William auf der Hügelkuppe hinter Drowned Dog Puddle in Deckung. Die Sonne war aufgegangen, aber es wurde ein grauer, düsterer Tag mit bedecktem Himmel. Im schwachen Licht verschmolzen die grünen, grauen und braunen Wirbel in seinem Gesicht mit dem dichten Unterholz der Beerenbüsche. Er hatte sich dem Hügel so sehr anverwandelt, dass er Schlamm auf den Lippen schmeckte. Für Spiders Agenten, die dort unten herumwuselten, war er so gut wie unsichtbar.
Der Hügel schmiegte sich als zerklüftete
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