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Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Titel: Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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dürfen.
    »Raus mit der Sprache«, forderte Spider.
    Posad verzog das Gesicht. »Karmash meinte, er wollte Ausschau halten. Gestern Abend ging es Lavern noch gut. Heute aber nicht mehr.«
    Also hatte sein Erster Offizier Lavern rausgeschickt. Spider spürte Zorn in sich aufwallen und zählte innerlich bis drei. »Bist du sicher?«
    »Die Goldminze findet ihn nicht. Kommt und seht selbst.«
    Sie gingen den Pfad entlang. Die Schubkarre quietschte stetig, das Geräusch ausgeleierter Räder mischte sich in das Knirschen von Kies.
    Der Geruch von altem Urin stieg Spider in die Nase. Der Pfad machte eine Kurve, und sie blieben vor einer gewaltigen Blüte stehen. Über zwei Meter breit und blassgelb, bedeckte sie den Boden und reichte Spider bis zur Taille. Faustgroße, mit trüber Flüssigkeit gefüllte Beulen übersäten die dicken, fleischigen Blütenblätter. Ein Netzwerk aus blassen Scheinstaubgefäßen reckte sich gegen die Decke und fand Halt in den Holzrahmen des Gewächshausdaches.
    Aus der Nähe trieb der Kloakengestank Spider das Wasser in die Augen. Er starrte in das Fasergewebe und hielt im Durcheinander der Vorspiegelungen Ausschau nach echten Staubgefäßen. Er zählte einunddreißig. Das zweiunddreißigste Staubgefäß fiel zur Seite, seine Sprossen dicht mit weißem Flaum bedeckt. Das Staubgefäß war reif und hatte Pollen ausgebildet. Also war die Verbindung zwischen Laverns Magie und der Blume kein Hindernis mehr für deren Entwicklung.
    »Lavern ist tot«, sagte Posad. »Ich fand, Ihr solltet das wissen.«
    Spider nickte. Der Gärtner streckte die Hand aus und hackte das reife Staubgefäß mit einem kurzen, breiten Messer entzwei. Schon der zweite Mann, den sie im Moor verloren hatten, seit Cerise nicht mehr im Rattennest war. Zuerst Thibauld, der seinen Bericht schuldig geblieben und dessen Staubgefäß gestern entfernt worden war. Und jetzt Lavern. Der eigentlich in sicherer Verwahrung hätte sein müssen.
    Spider verließ das Gewächshaus und machte sich energischen Schrittes auf den Weg zu seinem Arbeitszimmer. Am Fuß der Treppe stand ein kleiner Binsenkorb. Spider sah ihn eine Sekunde lang an und stieg dann die Stufen hinauf. Auf dem Treppenabsatz gab es zwei weitere Körbe. Er ging daran vorbei und erreichte den Korridor im obersten Stockwerk. Noch mehr aus Binsen geflochtenes Zeug verunstaltete den schmalen Gang: Stapel von Einkaufskörben, Wäschekörben, Brotkörben lehnten an den Wänden, ineinandergeschobene Papierkörbe bildeten wahre Binsenkolonnaden, komplizierte Picknickkörbe wetteiferten mit Blumenkörben um Platz. Das Aroma getrockneter Pflanzen mischte sich mit dem Algengeruch, der das Haus zu allen Zeiten durchdrang.
    Spider unterdrückte ein Grollen, umging einen Turm aus Blumenkörben, der bei jedem seiner Schritte bedrohlich ins Wanken geriet, und schob sich in den kleinen Raum, der als Empfang seines Arbeitszimmers diente. Veisan saß gekrümmt auf ihrem Stuhl. Ihre Finger flochten Binsen in einen Teppich. Neben einem gleich großen Stapel Körbe lag vor ihren Füßen ein Haufen … Binsen.
    Als er sich näherte, sprang sie auf. Ihre kräftigen Hände zerrten an dem geflochtenen Teppich. »Mylord.«
    »Schick Karmash zu mir.«
    »Jawohl, Mylord.«
    Zwischen ihm und der Tür hockte eine riesenhafte, an eine hohle Ente erinnernde Binsenkreation. Spider kickte sie in eine Ecke.
    »Und hör auf, hier alles zuzumüllen. Wir haben keine Korbwarenhandlung.«
    »Jawohl, Mylord.«
    Er betrat sein Arbeitszimmer und ging an dem Rechteck eines wuchtigen, antiken Tisches vorbei zum Fenster. Stockfinster. Seine verbesserten Augen benötigten den Bruchteil eines Atemzugs, um sich darauf einzustellen, dann blühte die Dunkelheit auf, entfaltete sich vor ihm wie eine Blüte und gab den Blick auf die Zypressenreihe vor der überfluteten Ebene frei.
    Karmash hatte sich ihm widersetzt. Wieder einmal.
    Spiders Zorn ließ seine Sinne auf Hochtouren laufen, als die implantierten Drüsen Katalysatoren in seine Blutbahn pumpten. Er entriegelte den Rahmen und stieß das Fenster auf, worauf ihn eine Kaskade aus nächtlichen Gerüchen und Geräuschen überspülte. Sein scharfes Gehör erkannte Karmashs unverwechselbaren Gang, und er drehte sich zur Tür um. Die Schritte kamen näher, und Spider roch den moschusartigen Schweißgeruch des Übeltäters.
    »Herein«, blaffte er. Es entstand eine kurze Pause, ehe die Tür aufging. Karmash trat ein. Seine riesenhafte Gestalt ließ den Eingang winzig erscheinen.

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