Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
die Landkarte an der Wand, worauf Karmash sich ihr pflichtgemäß zuwandte.
»Südöstlich des Mar-Anwesens verläuft eine schmale Straße.«
»Der White Blossom Trail, Mylord?«
»Ja, die einzige Landstraße vom Rattennest in die Stadt. Wie du unschwer erkennen kannst, ist alles andere Sumpfgebiet. Ich will, dass du mir Vur und Embelys dahinschaffst. Sie sollen aber nur Ausschau halten. Wenn sie das Anwesen verlässt, soll ihr einer folgen, während der andere Bericht erstattet.«
»Jawohl, Mylord.«
»Und diesmal keine Fehler.«
»Jawohl, Mylord.«
»Du kannst gehen.«
Karmash trat von einem Fuß auf den anderen. »Wollt Ihr, dass ich ein Bergungsteam losschicke, das nach Laverns Leiche sucht?«
»Nein. Das mache ich selbst. Frische Luft wird mir guttun.«
Karmash trat die Flucht an.
Spider seufzte. Das Mädchen machte womöglich einen Fehler. Jedenfalls hoffte er das. Er wollte sie vor sich haben und herauszufinden versuchen, wie sie tickte. Sie wäre bestimmt eine faszinierende Gesprächspartnerin.
Spider ging zur Tür und öffnete sie. Veisan ließ den Stapel Körbe fallen, den sie gerade trug, und stand stramm. Ihre Kollektion aufgedrehter graublauer Locken fiel ihr über die Schultern wie ein Nest dünner Schlangen.
»Lass die Wand reparieren. Und einen neuen Tisch brauche ich auch.« Ein Anflug von Bedauern überkam ihn – das war schon ein sehr schöner Tisch gewesen.
»Ja, Mylord.« Ihre Lapislazuli-Augen betrachteten ihn aus einem Gesicht von der Farbe rohen Fleisches.
»Und das mit den Körben tut mir leid. Flechte ruhig weiter. Ich war müde und hatte jede Menge Stress.«
»Danke, Mylord.«
Er nickte und ließ sie stehen.
Sie wandte den Kopf und folgte seiner Bewegung. »Wohin geht Ihr, Mylord?«
»Aus. Ich gehe aus. Aber ich bin bald zurück.« Er ging weiter. Vielleicht konnte er während seiner Suche nach Laverns Leiche irgendetwas töten. Ihm war wirklich zum Erbarmen langweilig.
11
Peva Sheerile saß zurückgelehnt auf dem Stamm einer Stechkiefer und beobachtete das dunkle Wasser. Um ihn herum raschelten sanft die vom Nachtwind bewegten bronze gesprenkelten Wedel des Rostfarns. Links von ihm versuchte eine Buschbraueneule mit ihrem Geheul Spitzmäuse aus ihrem Versteck zu scheuchen. Wie ein halb versunkener Ast lag ein alter Evaurg im Wasser.
Peva hatte den Strom am frühen Abend abgesucht. Die zweitschnellste Wasserstraße von Sicktree zum Rattennest, der Weg, den er an Cerises Stelle genommen hätte. Die Rattenschlampe stand unter Zeitdruck. Sie musste morgen früh bei einer Gerichtsverhandlung antanzen, und da der Ridgeback Stream der schnellste und damit der offensichtlichste Weg und Priest’s Tongue ein zu großer Umweg und viel zu umständlich war, würde sie diese Stelle bestimmt passieren. Bei Nacht waren Bootsfahrten durch den Sumpf viel zu riskant, sie würde also erst im Frühlicht heimlich hier durchzukommen versuchen, leise und unauffällig, in der Annahme, besonders gewieft zu sein, und dabei unversehens auf seine Wespe und ihre Stacheln treffen. Er tätschelte den Walnusskolben seiner Armbrust. Die Wespe hatte Durst, und Cerise besaß jede Menge Blut.
Am besten, er würde ihre Leiche beim Rattennest abladen. Mit seinem Bolzen noch im Balg. Er versuchte, sich Richards Gesicht vorzustellen, die übliche hochnäsige Gelassenheit vom Schock der Trauer zur Maske erschlafft, und musste grinsen. Es war höchste Zeit, dass dieser Bastard sich daran erinnerte, wer er war – eine Sumpfratte, so wie Dutzende andere, die überall herumwuselten, alles anfraßen und sich im Dreck des Moors vermehrten. Nicht besser, nicht schlechter als alle Promenadenmischungen im Edge. Ja, allerhöchste Zeit!
Vor seinem geistigen Auge verwandelte sich Richards Gesicht in das von Lagar, und seine Hochstimmung war dahin. Scheiße! Peva fragte sich, was er wohl im Gesicht seines Bruders lesen würde, sobald er ihm Cerises Leiche vorführte. Wenn er es sich recht überlegte, wäre es sicher am besten, wenn Lagar die Tote überhaupt nicht zu sehen bekam. Wozu auch?
Die Geschichte zwischen Lagar und Cerise irritierte ihn. Es war nicht gerade so, dass sie sich für ihn auf den Rücken legte. Scheiße, Lagar hatte es nicht mal drauf ankommen lassen. Nie irgendwelche Geschenke oder Blumen oder worauf Weiber sonst abfahren mochten, aber kaum kam Cerise des Weges, stierte Lagar ihr hinterher. Und dann dieser verdammte Tanz, als die zwei ums Feuer herumwirbelten, Lagar sternhagelvoll, mit irrem
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