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Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Titel: Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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Er schloss die Tür hinter sich. Aus seinen weißen Haaren tropfte Feuchtigkeit. Spiders Nase erkannte einen Hauch Sumpfwasser.
    »Warst du schwimmen?«
    »Ja, Mylord.«
    »War das Wasser warm?«
    »Nein, Mylord.« Der große Mann trat von einem Fuß auf den anderen.
    »Dann war es also eher eine frische, belebende Erfahrung?«
    »Ja, Mylord.«
    »Verstehe.«
    Er wandte sich dem Tisch zu und betrachtete die stattliche Anzahl Papiere. Dabei registrierte er Karmashs beschleunigten Herzschlag.
    »Mylord, es tut mir sehr leid …«
    Spider schlug krachend mit der Faust auf den Tisch. Mit einem hölzernen Kreischen splitterte die Tischplatte. Schubladen sprangen auf und offenbarten eine Flut loser Papiere, kleiner Schachteln und Tintenfässer aus Metall. Von den Trümmern stieg eine stechende Wolke Staubschwaden auf. Spider packte den halben ruinierten Tisch samt Tischplatte, Schubladen und allem und warf ihn quer durch den Raum, wo er gegen die Wand krachte und in einer Explosion aus Holzsplittern zerbarst.
    Langsam und entschlossen drehte sich Spider auf dem Absatz um. Alles Blut wich aus Karmashs Gesicht, seine Haut war jetzt ebenso weiß wie seine Haare. Spider überwand die zwei Schritte zu den Resten des Tisches und musterte sie.
    »Du hast mich enttäuscht«, sagte er dann.
    Karmash öffnete den Mund, um zu antworten, schloss ihn aber wieder. Spider hockte sich auf die Kante des zerstörten Tisches und sah ihn an. Karmashs Haut strömte den Geruch von Angst aus. Sie bebte in seinen Augen, brach sich in den zu Fäusten geballten Händen Bahn, zeigte sich in den zur Flucht bereiten, leicht gebeugten Knien. Spider studierte seine Angst und nahm sie in sich auf. Sie schmeckte süß wie gereifter Wein.
    »Also, noch mal von vorne«, sagte Spider, wobei er jedes Wort in dem geduldigen, gedehnten Tonfall aussprach, der ungehorsamen Kindern und Frauen vorbehalten war, die man zur Weißglut bringen wollte. »Welchen Teil meiner Instruktionen hast du nicht verstanden?«
    Karmash schluckte. »Ich habe alles verstanden, Mylord.«
    »Wohl kaum, denn was du getan hast, stand im Widerspruch zu meinen Worten. Offensichtlich ein Missverständnis. Gehen wir es also noch mal durch. Wiederhole, was ich dir zu tun aufgetragen habe.«
    Streng und ohne zu blinzeln sah Spider Karmash an. Ihre Blicke trafen sich, und Spider sah, wie das Entsetzen jeden Anschein eines klaren Gedankens aus Karmashs Augen vertrieb. Der große Mann verfiel in panische Starre. Karmash öffnete den Mund, doch kein Laut kam heraus. An seinem Haaransatz brach Schweiß aus und sickerte über bleiche Haut in den Schild seiner buschigen Augenbrauen.
    »Also los«, sagte Spider.
    Karmash strengte sich an und entrang sich ein einziges kleines Wort. »Ihr …«
    »Ich höre nichts.«
    Karmash sah weg, seine Kiefermuskeln arbeiteten krampfhaft. Er blinzelte hektisch, stand stocksteif da. Spider musterte seinen Hals, stellte sich vor, wie er die Hand ausstreckte, mit stählerner Umklammerung seine Kehle packte und den Kehlkopf zerquetschte, bis unter seinen Fingern die Knorpel mit leisem Knirschen platzten.
    Karmash versuchte es erneut. »Ihr habt gesagt …«
    »Ja?«
    Dem großen Mann blieben die Worte im Halse stecken. Mit weit aufgerissenen Augen, die infolge der erweiterten Pupillen fast schwarz wirkten, starrte er auf den Boden.
    Das war zu leicht. Krieche, Karmash. Krieche und unterwirf dich!
    Karmash schwankte leicht. Seine Nasenflügel bebten nicht – er hatte zu atmen vergessen. Noch ein Dutzend Herzschläge, und er würde in Ohnmacht fallen. Spider spielte mit dem Gedanken, es so weit kommen zu lassen, entschied sich aber mit einigem Bedauern dagegen. Zu viel Ungemach, bis Karmash endlich so weit war.
    »Wie lange soll ich noch warten?« Er legte eine Winzigkeit weniger Strenge in Tonfall und Blick.
    Das genügte, damit Karmashs Knie zitterten. Seine Nasenflügel flatterten, schnappten hektisch nach Luft, dann erschauerte er, Nerven und Muskeln gaben nach. Einen Moment lang wirkte er schlaff wie eine Stoffpuppe, die jede Sekunde in sich zusammenfallen wollte.
    Spider wartete. Die zweite Stufe der Angst: Erleichterung. Lass den Körper vor Panik versteinern, schalte den Verstand aus, sodass er nur mehr um denselben Gedanken kreist. Gib den Körper dann frei, und sofort gerät die Logik wieder in Fluss. Eine animalische Reaktion, ein Abwehrmechanismus von Mutter Natur, die wusste, dass ihre Kinder sich, wenn man ihnen die Gelegenheit gab, um Kopf und Kragen

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