Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
schwang und ihre Augen aufleuchteten. William wandte den Blick ab, bevor er etwas Dummes tat. »Haben Sie sich was wegen des Heckenschützen überlegt?«
Mit einer Kopfbewegung wies sie auf den Leichnam. »Ich finde, das sollte der Tote da übernehmen.«
William sah nach dem Jäger und fletschte vor der Leiche die Zähne.
10
Lautlos öffnete sich die Tür unter Spiders Hand und ließ ihn in das Gewächshaus. Fünfundzwanzig Meter Glas beschirmten einen schmalen, von einem Pfad in zwei Hälfen geteilten Streifen Erde. Während des Tages flutete Sonnenlicht das Gewächshaus, jetzt jedoch wurde der Pflanzenwuchs nur vom orangefarbenen Strahlen magischer Lampen genährt. Der vorige Besitzer des Herrenhauses hatte das Gewächshaus genutzt, um dem Boden des Moors Salatgurken abzutrotzen; vermutlich wäre er entsetzt gewesen, wenn er gesehen hätte, welche Kuriositäten es jetzt füllten.
Spider betrachtete die Doppelreihe Pflanzen, dann entdeckte er Posads missgebildete Gestalt, die sich auf halber Länge des Pfades über die Wurzeln einer Pflanze krümmte. Neben ihm standen ein großer Eimer und eine Schubkarre.
Mit großen Schritten ging Spider auf den Gärtner zu, unter seinen Sohlen knirschte der Kies. Posad versenkte seine kleine, beinahe feminine Hand in einem Eimer und verabreichte der Erde um einen jungen Baum eine Handvoll schwarzen, fetten Schlamm. Der durchscheinend blaue Baum ragte etwa zwei Meter in die Höhe und streckte perfekt geformte blattlose Zweige in alle Richtungen.
Die blauen Zweige neigten sich Spider entgegen, und vorsichtig, wie ein schüchternes Kind, berührte ihn einer von ihnen an der Schulter. Spider öffnete seine Hand, und die Zweige schmiegten sich in seine Handfläche.
Er nahm einen Beutel Dünger aus der Schubkarre und hielt dem Baum eine Handvoll körnigen, grauen Pulvers hin. Ein kleiner Zweig strich darüber und nahm das Pulver über winzige Schlitze in seiner Rinde auf. Da streckten sich auch seine Genossen nach Spiders Hand, und der ganze Baum beugte sich dichter über den Dünger.
Derweil fuhr Posad fort, mit einer dreizahnigen Gartenharke Schlamm unter die Erde zu mischen. »Ihr verwöhnt ihn«, meinte er.
»Ich kann nichts dafür. Er ist so höflich.« Spider gab dem Baum den Rest Dünger und wedelte dann mit leeren Händen vor den Zweigen herum. »Tut mir leid, Jungs, nichts mehr da.«
Die Zweige strichen wie aus Dankbarkeit über seine Schulter, dann richtete sich der Baum wieder auf. Spider sah zu, wie die Düngerkörner am Stamm nach unten glitten, undurchsichtig und leuchtend, wie vom Licht in winzige Sterne verwandelte Schneeflocken.
Der Baum war für die Verschmelzung unerlässlich. Nur mit ihm konnte John Genevieves Körper mit dem pflanzlichen Gewebe verbinden. Der Vorgang würde ihren Willen zerstören und absoluten Gehorsam garantieren. Aber die Verschmelzung barg gewisse Gefahren, überlegte Spider. Genevieve konnte ihre gesamten kognitiven Fähigkeiten einbüßen, womit sie für ihn nutzlos wäre. Sie konnte aber auch zu viel eigenen Willen zurückbehalten und ihn zu ermorden versuchen. Aber er hatte in dieser Sache keine Wahl. Das Journal war zu wichtig.
Posad schwang die Harke über die Schulter und stieß die Schubkarre vor sich her. Das Gewächs auf seinem Rücken und an seiner Seite war in den letzten Tagen größer geworden, so wie immer, wenn die Kolonie kurz vor der Teilung stand. Dicke, purpurrote Blutgefäße umschlossen das Fleisch seines Buckels unter der rosigen, glänzenden Haut. Man konnte kaum wegsehen.
Wie die meisten modifizierten Menschen der Hand war Posad als Waffe konzipiert worden. Er sollte eigentlich der Meister der Bienen sein und Schwärme mörderischer Insekten befehligen. In Gefechtssituation hatte sich diese Idee jedoch als äußerst unpraktisch erwiesen, dennoch hatte Posad seine Nische gefunden und kümmerte sich um die Pflanzen, die ihnen die für die Modifizierung erforderlichen Chemikalien lieferten.
»Ich kann Lavern nirgends finden«, sagte Posad, während er sich mit seiner schaufelgroßen rechten Hand den Dreck von der Hose bürstete.
Spider dachte einen Moment darüber nach. Lavern war einer ihrer stärksten Jäger, allerdings instabiler als die meisten. Er legte gewisse kannibalische Neigungen an den Tag, was bedeutete, dass er kurz davorstand, ersetzt zu werden. Man konnte ihn nur unter strenger Überwachung einsetzen, und soweit Spider wusste, hätte Lavern nicht mal allein aus dem Haus gehen
Weitere Kostenlose Bücher