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Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Titel: Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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zugelassen. Sein Gedächtnis hatte diesen Augenblick mit fast perfekter Genauigkeit gespeichert. Er erinnerte sich an alles: die Neigung ihres Kopfes, die Art, wie ihr Haar fiel, die Irritation in ihren dunklen Augen, den Druck ihres Körpers an seinem, den zarten Hauch ihres Duftes auf seinen Lippen. Er würde sie jederzeit wieder küssen, und wenn ihre gesamte Familie währenddessen Schlange stand, um ihn über den Haufen zu schießen.
    William wälzte sich vom Bett, huschte auf leisen Sohlen durch den Raum und drückte den Türgriff. Noch abgeschlossen. Sie sperrten ihn ein wie ein Kind.
    Er lächelte, öffnete seinen Rucksack und zog den Nachtanzug daraus hervor. Dann entkleidete er sich und streifte Hose und Hemd über. Der mit hell- und dunkelgrauen Flecken gemusterte Stoff lag an wie eine zweite Haut. Als er das Ding inklusive Kapuze und Gesichtsmaske, die alles bis auf die Augen verdeckte, zum ersten Mal sah, hatte er Nancy gesagt, dass er seines Wissens kein Ninja sei. Sie hatte bloß erwidert, er solle das Monstrum gefälligst anziehen und sich daran gewöhnen. Er war sich immer noch nicht sicher, ob sie überhaupt gewusst hatte, was ein Ninja war.
    William musste zugeben, dass der Anzug zweifellos durchdacht war. Die Nacht war nie einfach schwarz, sondern ein veränderlicher ätherischer Mix aus Schatten und Finsternis, aus scheckigem Grau und tiefem Indigo. Ein Mann in Schwarz würde auffallen wie ein einförmiger Flecken Dunkelheit.
    Trotzdem zog er bei der Kapuze und der Maske die Reißleine: Ein Mann musste Prinzipien haben, und er hatte keine Lust, seine Ohren zu verdecken oder durch ein Stück Stoff zu atmen. Abgesehen davon, dass er so wie ein Vollidiot aussehen würde.
    Seit Cerise zu Bett gegangen war, hatten sie ihn von einem Verwandten zum nächsten weitergereicht, wobei Kaldar ungefähr jede halbe Stunde nach ihm gesehen hatte, bis er dem Mann am liebsten den Hals umgedreht hätte. Kaldar besaß den aalglatten, leichtfertigen Charme eines begabten Schwindlers. Er sprach, wie ihm der Schnabel gewachsen war, lachte bei jeder Gelegenheit und redete zu viel. Im Lauf des Abends hatte William beobachtet, wie er Catherine eine Häkelnadel aus ihrem Korb, Erian ein Messer, Ignata ein Metallwerkzeug und einer von Cerises Cousinen eine Handvoll Kugeln stibitzte. Kaldar tat das ganz nebenbei, geschmeidig, spielte eine Weile mit seiner Beute und legte sie dann heimlich wieder an ihren Platz zurück. William hegte den Verdacht, dass Kaldar nur darüber lachen würde, falls man ihn erwischte – und seine verrückte Familie ihn damit durchkommen lassen würde. Alle wussten, dass Kaldar ein Gauner war. Aber keiner störte sich daran.
    William fand eine kleine Schachtel Tarnfarbe und verteilte in unregelmäßigen Flecken Grau, Dunkelgrün und Braun im Gesicht. Anschließend verstaute er seine Messer am Gürtel und hob die Armbrust des Spiegels auf. Er lud sie mit zwei vergifteten Bolzen aus seinem Köcher, wobei er sorgsam vermied, die komplizierten mechanischen Pfeilspitzen zu berühren. Das Gift darin reichte aus, ein Pferd im vollen Galopp niederzustrecken. Die Spitzen waren übergroß und seltsam geformt, seine Treffsicherheit würde darunter leiden, aber das machte nichts. Die Armbrust war das letzte Mittel, um aus nächster Nähe den sicheren Tod zu garantieren.
    Irgendwer in Cerises Familie hielt sich nicht an die Regeln. Irgendwer hatte der Hand von Urow berichtet. William war sich sicher, dass viele Einheimische von dem Thoas in den Reihen der Mars wussten, aber nur ein Familienmitglied hatte wissen können, dass Urow Cerise in Sicktree abholen wollte.
    Falls es in der Familie einen Verräter gab, musste er einen direkten Draht zu Spider oder zu einem von Spiders Leuten haben. Und in Anbetracht des Umstands, dass Cerise gerade mit einem merkwürdigen Blaublütigen im Schlepptau nach Hause gekommen war, würde der Verräter gewiss darauf brennen, Spider davon in Kenntnis zu setzen.
    Der Verräter würde abwarten, bis die meisten im Haus sich schlafen gelegt hatten, aber die Mars litten offenbar an einer bedenklichen Unfähigkeit, Ruhe zu halten. Das Haus summte abends wie ein Bienenkorb. Doch nun war es kurz vor Mitternacht, und Cerises lärmende Familie hatte sich endlich zurückgezogen.
    William band sich den Sleeper ums Handgelenk, ein kompliziertes Gerät aus Uhrwerkteilen und Magie an einem Lederarmband. Auf der Oberseite saßen vier schmale Metallröhren. William zog drei dünne Drahtschlingen

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