Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
rasend durch die vertraute Unordnung ihres Hauses, durch das Arbeitszimmer in Rys Zimmer und zum Fenster. Ihre Finger umfassten das Fensterbrett, und sie zog sich daran hoch.
Da umklammerte eine stählerne Hand Claras Bein und riss sie mit unfassbarer Kraft zurück. Sie schrie, als ihr Hinterkopf auf den Boden knallte. Er zerrte sie am Knöchel hoch und zog ihren Körper dabei mit einer Hand fast in die Höhe. Seine Augen versengten sie mit irrer Wut. Irgendetwas in ihr weigerte sich hinzunehmen, was gerade geschah, und leierte hartnäckig: Das ist nicht wahr, nicht wahr …
Er traf ihr Knie mit dem linken Handrücken. Ihre Ohren hörten den gebrochenen Knochen knacken. Im ersten Moment spürte sie nichts. Doch dann raste der Schmerz vom Knie durch ihren Oberschenkel bis in die Hüfte, als hätte jemand geschmolzenes Blei in ihre Knochen gegossen. Clara schrie, krallte die Hände in die Luft.
»Tut weh, was?«, knurrte der Mann.
Sie hörte ihn kaum, versuchte sich wegzukrümmen und das zerschmetterte Bein an sich zu ziehen. Oh, ihr Götter, es tut so weh, so weh, ihr Götter, helft mir !
Er zerrte an ihrem Knöchel. Dann sah sie das Hackmesser in seiner Hand und schauderte mit vor eisigem Entsetzen weit aufgerissenen Augen. Nein. Nein, das kannst du mir doch nicht antun. Nein .
Das Hackmesser fiel mit metallisch schimmerndem Schwung. Ein eisiger Biss und er hielt den blutigen Stumpf ihres Beins, der Fuß steckte noch in ihrem braunen Schuh. Dann warf er ihr Bein weg wie ein Holzscheit. Es traf die Wand, prallte ab und hinterließ dort einen blutigen Streifen.
Aus dem Beinstumpf spritzte eine dunkelrote Fontäne. Sie konnte nicht sprechen, nicht atmen. Die Welt verstummte, und die Zeit verging entsetzlich langsam. Sie sah, dass der Mann die Lippen bewegte, dann drehte er sich mit schockierender Schnelligkeit, setzte über sie hinweg und sprang aus dem Fenster. Wie glitzernder Regen prasselte ein Schauer aus Glassplittern auf sie herab …
Plötzlich schwenkte Urows Gesicht mit gefletschten Zähnen und in irrsinniger Wut funkelnden Augen in ihr Blickfeld. Sie sah, wie er die riesige Armbrust fallen ließ. Er hatte das Ding schon vor Urzeiten aufs Dach schaffen sollen. Es war viel zu schwer für ihn. Zu dumm.
Ihre Blicke trafen sich. Er bewegte die Lippen, doch sie konnte ihn nicht hören. Er wirkte furchtsam wie ein verirrtes Kind.
Keine Angst, Liebster. Keine Angst .
Sie fühlte, wie Dunkelheit sie umfing, um sie zu verschlingen. Sie versuchte noch, die Hand nach ihm auszustrecken, sein Gesicht zu berühren, aber ihr Arm gehorchte ihr nicht mehr.
Jetzt muss ich sterben.
Ich liebe dich .
17
In dem schmerzlichen Bewusstsein, dass William neben ihr stand wie ein dunkler Schatten, ließ sich Cerise auf einen Stuhl fallen. Er schien nichts zu wollen, er … bewachte sie lediglich. Das schien völlig absurd – schließlich war sie hier zu Hause –, aber aus irgendeinem sonderbaren Grund ging es ihr dadurch besser.
Ihr gegenüber lehnte Richard an der Wand und ließ William nicht aus den Augen. Der Rest der Familie zerbrach sich den Kopf. Leute kamen und gingen. Cerise achtete kaum darauf.
»Wie stark sind Sie, William?«, wollte Richard wissen.
»So stark, wie ich muss«, antwortete William.
Richards Gesicht offenbarte wenig, aber Cerise verstand sich auf sein Mienenspiel, seit sie Kinder waren, und die leichte Krümmung seiner Mundwinkel verriet ihr seine Besorgnis. Etwas an William beunruhigte ihren Vetter zutiefst.
Die Tür ging auf, und Ignata kam heraus. Sie wischte sich die Hände an einem Handtuch ab. Cerise erhob sich von ihrem Stuhl.
»Mikita hat zwei gebrochene Rippen«, verkündete Ignata.
»Was ist mit Tante Pete?«, fragte Erian.
Ignata straffte die Schultern, und Cerise wusste, dass es nicht gut aussah. »Mom hat ihr linkes Auge verloren.«
Die Worte trafen sie hart. Cerise zuckte zurück. Sie hätte die verfluchte Leiche im Fluss versenken sollen. Zuerst Urow, jetzt Mikita und Tante Pete. Urow und Mikita würden sich erholen, aber Augen wuchsen nicht nach. Nun hatte sie es geschafft, ihre Tante für ihr Leben zu entstellen.
Ignata zog an dem Handtuch, drehte es in den Händen. »Wir sind noch nicht über den Berg. Der Kadaver wimmelte von winzigen Würmern. Als die Leiche explodierte, wurden die beiden von Knochensplittern und verwesendem Gewebe übersät. Die Würmer zirkulieren in ihrem Blut. Anscheinend sind alle tot, aber ich weiß nicht, ob das so bleibt.«
»Transparente
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