Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
noch von den Jungen verabschieden können. Sie wünschte, sie hätte den beiden noch sagen können, wie sehr sie sie liebte und dass sie sich keine Sorgen machen und immer auf ihre Großmutter hören sollten. Und sie wünschte, sie und Declan hätten ein bisschen mehr Zeit gehabt.
Rose holte tief Luft. Der Schmerz war so groß, dass sie die Augen schloss. Dann öffnete sie sie wieder und entließ ihre Magie. Sie hielt nichts zurück. Alles, was sie war, alles, was ihr Leben verlieh, gab sie hin, damit Declan und die Kinder weiterleben konnten. Und wenn sie gekonnt hätte, wäre es noch mehr gewesen.
Die Magie entfuhr ihr als blendend weißer, nadelfeiner Lichtstrahl, der Declans Blitz und die Finsternis dahinter durchbohrte. Sie sah Casshorns Gesicht, eine Maske des Entsetzens, seine weit aufgerissenen Augen, das Maul vor Überraschung und Bestürzung erschlafft und offen stehend. Dann hörte sie Declan schreien.
Der weiße Lichtstrahl durchfuhr Casshorn. Die beiden Hälften seines grässlichen Körpers standen noch einen Augenblick reglos da und fielen dann auseinander.
Schwärze sprang sie an und verschlang sie mit Haut und Haar.
Dunkelheit.
Ringsum Dunkelheit, leer, wie eine Mauer vor der Welt. Wenn sie diese doch durchbrechen könnte …
Sie wollte nicht sterben. Sie schlug um sich, wollte die Hände heben, um die Dunkelheit zu zerfetzen, aber sie hatte keine Arme mehr und konnte nichts gegen die Dunkelheit unternehmen, die sie mit sich fortzog, tiefer und tiefer hinein in ihr Reich.
Da brach ein Blitzstrahl durch die Mauer. Einen Moment spürte sie Declans Arme, fühlte sich geborgen, sah seine Augen, hörte seine Lippen wieder und wieder flüstern: »Verlass mich nicht!«
Dann sprang die Dunkelheit sie erneut an, und er verschwand wieder.
Die Dunkelheit zersplitterte zu einem Dutzend dünner Streifen. Rose schrie, da sie sich von seinen Armen umklammert fühlte und er Blitz auf Blitz schleuderte, sein Leben in sie hineinpumpte, seine Magie ein Dutzend weißer Sturzbäche, die ihrer beider Körper vereinten.
26
Rose schlug die Augen auf. Tageslicht.
Über ihr dehnte sich eine Decke mit einem wohlbekannten gelben Fleck. Er war dort vor zwei Jahren aufgetaucht, nachdem Jack in seiner Luchsgestalt einen wilden Kater auf den Dachboden gejagt hatte.
»Willkommen zurück«, sagte Großmama sachte.
Rose sah sie mit aufgerissenen Augen an. Schreckliche Angst hielt sie umklammert. »Declan?«
»Lebt. So eben, aber heute Morgen hat er ein bisschen Hühnerbrühe gelöffelt, also wird er’s vermutlich überstehen.«
»Die Kinder?«
»Gut. Denen geht’s gut. Thad ist tot. Tom Buckwell musste ein Bein amputiert werden. Jennifer und Ru haben’s nicht geschafft, aber davon abgesehen, haben wir den Sturm überlebt.«
Rose holte Luft.
In Großmamas blauen Augen standen Tränen. »Nie wieder, hörst du mich? Nie wieder. Wenn das nächste Mal so was passiert, fährst du ins Broken und lässt jemand anders die Kastanien aus dem Feuer holen!«
»Okay.« Rose griff nach ihrer Hand. »Ist okay.«
»Du wärst fast tot gewesen, Kleines. Aber dein Blaublütiger hat dich schreiend und um sich tretend von den Toten zurückgeholt.«
»Was ist mit William?«
»Der ist weg. Hat kein Wort gesagt. Ist einfach verschwunden, als alles vorbei war.«
Einem Riesen gleich stand Declan in der Tür. Als er sie sah, musste er schlucken. Großmama stand leise auf und trat zur Seite. Rose streckte die Arme aus. Er wankte langsam herein und ließ sich vor ihr auf dem Fußboden nieder. Sie nahm seine Hand und schlief wieder ein.
Rose erwachte in ihrem Bett. Das durchs Fenster fallende Licht verriet ihr, dass es Vormittag sein musste. Während der Nacht war sie ein paarmal aufgewacht, vor Angst, nur geträumt zu haben, dass sie überlebt hatte und Declan bei ihr war. Auf einem Stapel Decken schlief er neben ihr und war jedes Mal zur Stelle, wenn sie in Panik geriet, bis sie schließlich aus dem Bett kletterte und sich neben ihn auf den Boden legte, um in seinen Armen einzuschlummern. Als sie den Schlaf das nächste Mal abschüttelte, entdeckte sie Jack, der sich zu ihren Füßen zusammengerollt hatte, und George allein in ihrem Bett.
Declan und die Jungen waren jetzt weg, und sie lag wieder im Bett. Sie machte sich keine Sorgen, da sie wusste, dass er nicht ohne sie fortgehen würde.
Alles kam ihr unwirklich vor. Sie lag lange da, spürte die Struktur der Laken unter den Fingern und versuchte, sich davon zu überzeugen, dass
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