Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)
auf.
»So wird das nichts«, sagte George.
»Kein Scheiß.« Jack lief auf und ab, wie ein Tiger im Käfig.
»Keine Panik.«
»Ich bin nicht in Panik.« Er wusste nicht, weshalb er immer weiterredete. Es war ja nicht so, als könnte George ihn hören oder sehen.
»Versuch, mich zu verbrennen.«
»Womit denn, George? Wir haben keine Zündhölzer.« Mit jeder Sekunde wurde die Kluft zwischen dem Verstand seines Bruders und seinem Körper größer. Daran hätten sie vorher denken sollen. Sie hätten irgendwas einpacken müssen, ein Feuerzeug, Streichhölzer, irgendwas.
»Nein, warte. Wir haben keine Zündhölzer. Habe ich vergessen. Du musst mir wehtun, Jack.«
»Du spinnst wohl.«
Ich weiß, das hört sich bescheuert an, aber so wird’s gehen. Du musst es tun, denn wenn du’s nicht machst, sitze ich weiter in dieser Ratte fest. Schmerz, Jack, heftiger Schmerz. Mein Körper muss mir signalisieren, dass er um sein Leben kämpft, sonst schläft er einfach ein. Du könntest versuchen, mir einen Finger zu brechen. Manchmal hilft das –«
Scheiß drauf. Jack nahm George in den Schwitzkasten und drückte ihm die Luft ab, schmerzhaft, aber ohne die Drosselvene zu treffen. Wenn er Druck ausübte, würde George in Ohnmacht fallen. Nach drei Sekunden schnappte George nach Luft. Jack drückte weiter zu. Das Gesicht seines Bruders verfärbte sich violett. Jack riss ihn hoch. George unternahm nichts, um sich zu wehren. Er hing in Jacks Armen wie eine Stoffpuppe. Jack drückte weiter. Er wusste nicht mehr, wie lange man brauchte, um einen Menschen zu erdrosseln. Wie konnte er, mit seinem perfekten Gedächtnis, ausgerechnet das vergessen? Waren es drei Minuten? Zwei? Er griff noch fester zu.
Bitte, George, bitte .
Georges Hände krallten sich in seine Arme. Jack ließ los, sein Bruder krachte auf den Boden und tat einen tiefen, rasselnden Atemzug.
»Bist du zurück?«
George krümmte sich, japste, versuchte, Luft zu bekommen.
Jack zerrte ihn auf die Beine. »Bist du zurück?«
»Ja«, krächzte George. »Lass mich los.«
Jack ließ ihn fallen, und George fiel und stieß sich am Bettkasten den Kopf. »Aua.«
Jack hockte auf dem Bett. Ums Haar hätte er seinem Bruder das Leben abgedrückt. Ein bisschen länger nur, und George wäre, so oder so, hinüber gewesen. Jack bemerkte, dass ihm kalt war. Schweiß überzog sein Gesicht. Vor seinem geistigen Auge sah er, wie er Georges Leiche im Arm hielt.
Es war vorbei. Aus und vorbei. Und alles war gut. Supergut.
George grinste ihn vom Fußboden aus an. Mit rotem Gesicht und einer dunklen Schwellung rings um den Hals. Jack reichte ihm die Hand, sein Bruder nahm sie, und Jack zog ihn auf die Füße.
George rieb sich den Hals. »Scheiße, tut das weh. Jetzt du.«
Jack wälzte sich vom Bett und zog seine Kleidung aus. »Das sommersprossige Mädchen wollte dich besuchen.«
»Oh, was wollte sie denn?«
»Mit dir reden.«
George grinste und zuckte zusammen. »Au, mir tut das ganze Gesicht weh. Wie hast du das bloß gemacht?«
»Mit einem einfachen Würgegriff.« Jack atmete tief durch und ließ die Wildheit von der Kette. Um ihn herum brach die Welt auseinander. Schmerz durchfuhr seine Muskeln, erfasste seine Knochen und verdrehte sie in ihren Gelenken. Sein Körper krümmte sich auf dem Boden, zuckte, trat aus, verloren im Irrsinn des Schmerzes und der Magie. Er fühlte sich endlos ausgedehnt, unmögliche Entfernungen, dann schnellte er zurück. Jack kam auf die Beine. George sah vom Bett aus auf ihn hinab.
»Du hast vier Stunden. Um fünf geht die Sonne auf, dann wird es hell.«
Keuchend fletschte Jack seine Fangzähne. Vier Stunden waren mehr als genug.
George öffnete die Tür, spähte hinaus und schloss sie wieder. »Sommersprösschen«, meldete er. »Sie wartet draußen.«
Es kam ihm wie zwei Stunden vor. Sie konnte doch nicht zwei Stunden draußen gewartet haben, oder doch? Alle hier waren verrückt.
»Ich gehe vor«, sagte George.
Jack verkroch sich unters Bett und kniff die Augen zu, damit sie ihn nicht verrieten. Schwungvoll öffnete George die Tür und ging hinaus. »Grüß Gott.«
Grüß Gott ? George, du Schwachkopf .
»Hallo«, sagte das Mädchen. »Dein Bruder meinte, du würdest schlafen.«
»Hab ich auch.« Georges Stimme nahm den Tonfall des verwunschenen Prinzen an, ruhig, bedächtig, mit dem Anflug eines Blaublütigen-Akzents. »Er sagte, dass du vor geraumer Zeit hier warst. Hast du die ganze Zeit gewartet?«
»Ich war
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