Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)
spazieren.«
Bockmist.
»Das kann ich dir nicht verübeln. Der Mond ist wunderschön heute Nacht.« George hob den Blick. Er stand in Mondlicht gebadet, sein goldenes Haar glänzte fast weiß. Sommersprösschen schielte fast vor Begeisterung. George verdrehte die Augen.
»Du bist bestimmt müde«, meinte George. »Warum setzen wir uns nicht? Ich glaube, da steht irgendwo eine Bank.«
»Vor dem Haus da stehen jede Menge Bänke.«
»Wunderbar.« Georges Stimme bebte vor Freude, als hätte sie ihm gerade ein Geschenk gemacht. Jack hätte dazu bestimmt ein Gesicht geschnitten. »Du kennst das Camp so gut.«
»Meine Mutter arbeitet in der Cafeteria. Ich sitze hier den ganzen Sommer über fest. Außer mit den Bibelfritzen und den Ausreißern kann man mit keinem reden, aber das sind alles Arschlöcher. Grottenlangweilig.«
»Jetzt nicht mehr, hoffe ich.« George lächelte.
»Nein, ich glaube nicht.«
Sie wandten sich nach rechts und entfernten sich.
»Also, erzähl mir von dir.« Georges Stimme wurde vom Wind getragen. »Wie heißt du?«
»Lisa.«
»Das ist ein hübscher Name. Und was machst du gerne?«
»Ich lese gerne. Am liebsten über Vampire …«
Jack sprang unter dem Bett hervor und stürmte in den Wald. Baumstämme und Zweige verschwammen. Er rannte und rannte, als hätte er Flügel. In dem Moment, als der Mond über die Baumwipfel stieg, gehörte der Wald ihm. Er herrschte über alles, was er sah.
Drei Stunden später kroch er zurück ins Zimmer, nachdem er alles, was er gehört hatte, in Kaldars Aufnahmegerät gesprochen hatte. George lag bereits im Bett. Er wartete, bis Jack wieder seine menschliche Gestalt angenommen hatte.
»Wie war’s?«
»Alles erledigt.« Er hatte sich in der Nähe zur Grenze mit Audrey und Kaldar getroffen und alles aufgesagt, was George ihm mitgeteilt hatte.
»Gut.«
»Und wie war’s mit Sommersprösschen.«
»Sie hält mich für einen Vampir.«
Jack kicherte und schlief ein.
»Was meinst du?« Gaston hielt zwei Scheiben aus hellbrauner Knetmasse hoch.
Audrey prüfte die Scheiben. Alle drei hatten die letzten zwei Stunden an der Fälschung gearbeitet. Jacks Bericht hatte ihnen nur bestätigt, was sie sich bereits gedacht hatten – das Auge von Karuman aus dem Camp zu stehlen blieb einfach zu riskant. Die schützenden Wehre waren zu tief in der Erde verankert, und selbst wenn man davon ausging, dass sie den Schutzzauber durchbrachen, wimmelte es im Camp immer noch von Kindern und bewaffneten Wachen. Wenn während des Raubzugs irgendwas schiefging, war das Risiko, dass während des Tohuwabohus ein Kind zu Schaden kam, viel zu groß. Darauf wollte sich nicht mal Kaldar einlassen. Also mussten sie sich für den Tagesplan entscheiden – die echten Augen von Karuman durch Nachbildungen ersetzen und hoffen, heil aus dem Camp herauszukommen.
Die Steine für die Augen zu fälschen war einfach. George hatte die im Weird gängige Fassung erkannt, die nichts anderes als der gute, alte Zuschnitt in der Mitte zwischen Oval und Viereck mit 64 Facetten war. Sowohl Audrey als auch Kaldar hatten im Leben schon so viele Edelsteine gesehen, dass sie die Steine in der richtigen Größe und dem passenden Zuschnitt leicht hatten nachbilden können. Für zweitausend Dollar hatten sie im Fachhandel zwei Stücke Glas erstanden, die ihnen bei oberflächlicher Begutachtung gut genug erschienen waren. Die Scheiben hatten größere Probleme gemacht. Zum einen wegen der Glyphen, die sich als heikel erwiesen hatten, obwohl Gaston meisterlich mit Ton und Pinsel umging.
Trotzdem entsprachen die Scheiben in etwa Jacks Beschreibung. Er hatte kaum etwas ausgelassen, was jedoch nichts daran änderte, dass sie sich auf seine Schilderung und die Abbildung in einem Buch beschränken mussten. Und auf dem Bild waren die Scheiben viereckig und die Steine grün.
»Und?«, fragte Gaston.
»Sie müssen golden aussehen«, erklärte ihm Audrey. Ling saß neben ihr und beobachtete sie aus ihren kleinen, schwarzen Augen. Sie und Jacks Kätzchen hatten sich inzwischen angefreundet. Die Katze ging gerade im Wald auf die Jagd, doch anstatt sie zu begleiten, klebte Ling wie eine Klette an Audrey, fast als wittere das kleine Tier ihre Besorgnis.
»Das werden sie, sobald ich sie verzaubert habe.«
Da teilte sich das Gebüsch, und Kaldar bahnte sich einen Weg auf die Lichtung. »Ich hab sie!« Er gab Audrey eine massive Goldkette. Audrey verglich sie mit der Abbildung.
»Fast«, sagte Gaston. »Wenn ich alles
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