Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)
hat diese Frau schon einen Zweiten, der nicht zurücktreten will. Jetzt hat sie mir diesen Auftrag erteilt. Das ist meine Chance, mich zu beweisen. Wenn ich es gut mache, ist mir meine Stellung in der Mannschaft sicher. Wenn nicht, war’s das mit meiner Karriere. Ich sage Ihnen das alles, damit sie verstehen, wie wichtig es für mich ist, erfolgreich zu sein. Verstanden?«
Die Frau nickte wieder.
»Gut. Also noch mal zu der Sache, an die ich Sie sich zu erinnern gebeten hatte. Ihr Leben ist mir egal. Es bedeutet mir nichts. Ich habe nicht unbedingt vor, Sie zu foltern – das ist mir lästig, aber ich werde es tun. Ich kann sie aufschneiden, Sie verbrennen, Ihnen die Nägel ausreißen, Ihnen den Bauch aufschlitzen und Salz in die Wunde streuen. Ich kann Ihnen die Zähne ausreißen oder Sie mit einer abgebrochenen Flasche vergewaltigen …«
Die Frau begann zu wimmern.
»Psst.«
Karmash hob die Hand. »Lassen Sie mich ausreden. Was ich sagen will, ich habe wenig Lust, irgendetwas davon zu tun. Wenn Sie mir verraten, was ich wissen will, habe ich kein Problem damit, Sie gehen zu lassen, vorausgesetzt, Sie verschwinden für ein, zwei Wochen, bis ich hier alles erledigt habe. Damit wissen wir beide, woran wir sind. Also noch mal von vorne. Arbeiten Sie für Magdalene Moonflower?«
»Ja.« Antwortete die Frau.
»Hat sie in den letzten fünf Tagen Besuch von einem dunkelhaarigen Mann und einer Rothaarigen bekommen?«
»Ja.«
Karmash lächelte. Er würde Helena Kaldar Mar auf dem Silbertablett servieren – und damit seine Stellung festigen und Sebastian von seinem komfortablen Thron stoßen.
»Wo sind diese Leute jetzt?«
»Ich weiß es nicht«, sagte die Frau.
Karmash runzelte die Stirn.
Die Worte der Frau überschlugen sich. »Ich weiß nur, dass Magdalene sich irgendwie mit ihnen geeinigt hat. Es hat etwas mit Ed Yonker zu tun.«
»Wer ist dieser Ed Yonker?«
»Ein Prediger.«
»Ein Priester?«
»So was in der Art. Er hat eine große Holzkirche in einem Camp im Edge, wo er seine Magie wirkt. Dort müsste Ihr Mann sein. Ich kann Ihnen zeigen, wo es ist. Nicht weit von hier. Im Norden.«
»Wie heißen Sie?«
»Jennifer.«
»Das haben Sie gut gemacht. Ich schneide Sie jetzt ab, dann werden Sie uns diese Kirche zeigen.«
»Und dann darf ich gehen?«, fragte sie mit Tränen in den Augen.
Komisch, dass Menschen in schweren Zeiten einfach alles glauben. »Ja, dann dürfen Sie gehen.«
12
Die Hölzerne Kathedrale war groß und bis unters Dach gefüllt. In der Menschenmenge hätte sich Audrey eigentlich sicherer fühlen müssen. Das beste Versteck für einen Dieb war eine Menschenmenge, vor allem eine wie diese: gut angezogen, gepflegt, scheinbar gesetzestreu und über jeden Vorwurf erhaben. Allerdings strahlte diese Versammlung eine befremdliche, seltsame Schwingung aus. Von jenem Augenblick an, als die Leute der Kirche der Gesegneten sie in den Bus ins Edge gedrängt hatten, war die Gemeinde in Aufruhr. Jetzt, da sie ihre Plätze in den unbequemen Bänken der Kathedrale einnahmen, erreichte die Aufregung ihren Siedepunkt.
Die Kirche verfügte nur über einen Mittelgang und dort hatte Audrey einen Platz gefunden. Menschen drängten sich auf dem Weg zu ihren Plätzen an ihr vorbei und schwitzten Angst aus. Sie sprachen zwar miteinander, aber eine Unterhaltung kam nicht in Gang. Ihre Gesichter wirkten hager, ihre Blicke gehetzt. Ungeduldig fingerten sie an ihren teuren Anzügen und kostspieligen Kleidern herum, klammerten sich an ihre Sitze, ihre Blicke suchten die erhöhte Bühne ab, auf der eine einsame Kanzel stand. Wie eine Meute hungriger Bettler, die gehört hatte, dass jemand Brot ausgeben wollte, saß die Gemeinde in gespannter Erwartung.
Audrey warf dem links neben ihr sitzenden Kaldar einen Blick zu. Sein Gesicht wirkte sorglos, seine kalten wachsamen Augen taxierten die Menschen.
An der Tür und in der Nähe der Kanzel standen bewaffnete Wachposten. Niemand schien sie zu beachten, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, sich in der Gegenwart von Männern mit Gewehren aufzuhalten. Seth, ihr Begleiter, erklärte die Anwesenheit der Wachen damit, dass in der Umgebung Berglöwen entdeckt worden waren. Die Begründung schien einigermaßen an den Haaren herbeigezogen, doch immerhin bemühten sich die Wachen um Freundlichkeit. Sie lächelten, hielten Türen auf, winkten den Besuchern zu. Der größte Teil der Gemeinde, vermutlich Yonkers Stammgäste, scherte sich nicht darum, und falls
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