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Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)

Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)

Titel: Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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streckte Audrey fünf Finger hin. Fünf Wachen.
    Audrey nickte.
    Er signalisierte: » Warte hier .«
    Wieder nickte sie.
    Kaldar kroch seitwärts, bewegte sich unmittelbar unter den Schießscharten für die Bogenschützen im Krabbengang über die Mauer. Wenn jetzt jemand über die Mauer nach unten spähte, wäre sein Käse gegessen. Du hast es so gewollt , rief er sich ins Gedächtnis. Du hast dich freiwillig gemeldet, und jetzt werden deine Träume wahr .
    Er setzte seinen Weg über die Mauer fort, bis er sich fast sechzig Meter von Audrey entfernt hatte. Er konnte sie kaum mehr erkennen, sah nur noch einen dunklen Fleck links von ihm. Das musste reichen.
    Kaldar versenkte die rechte Kralle in die Brustwehr und zog sich daran hoch. Einen quälenden Augenblick lang hing er haltlos über dem Abgrund, dann bohrten sich seine Krallen erneut in die Wand. Kaldar zog sich weit genug hoch, um einen Blick durch die nächste Schießscharte werfen zu können.
    Der Turm war oben flach. In der Mitte des Dachs sah er einen klobigen, rechteckigen steinernen Aufbau, dessen Eingang durch eine massive Tür geschützt war. Morells Stahlkammer. Zwei Vikinger-Krieger bewachten sie. Links saß dösend ein Texas-Scharfschütze an der Wand, den Federhut über die Augen gezogen, zwischen den Zähnen des Mannes steckte ein Grashalm. Rechts, am Ende des Flachdachs, spielten ein weiterer Vikinger und ein Scharfschütze Karten.
    Kaldar zog an der Kordel seines Rucksacks und fuhr mit der Hand hinein. Seine Finger berührten einen Metallkörper. Er zog ihn heraus. Eine Spionspinne. Eines der typischen Spielzeuge des Spiegels. Die Spinne ruhte in der etwa tellergroßen Hülle und krümmte ihre acht segmentierten Beine sicher um ihren Metallkörper. Kaldar öffnete die Rückenplatte, stellte die Zeitschaltuhr auf fünf Minuten ein und entschied sich dann für den Schnellbeobachtungsmodus. Das Getriebe der Spinne surrte. Kaldar schloss die Klappe wieder und setzte die Spionspinne auf den Rand der Brustwehr. Darauf folgte eine zweite Spinne, bei der er eine Zeitverzögerung von einer Stunde wählte und sie unterhalb der Brustwehr an der Mauer befestigte, sodass sie von oben nicht zu sehen war.
    Kaldar krabbelte nach links, bis er über Audrey an der Mauer klebte, dann bewegte er sich aufwärts. Audrey kletterte neben ihn. Gemeinsam warteten sie am Rand der Brustwehr und spähten durch die Schießscharten.
    Kaldar hob ein kleines Fernrohr vor sein linkes Auge.
    Die erste Spinne bewegte sich. Die langen, unterteilten Beinchen zitterten, dann krabbelte sie über die Brustwehr, setzte langsam ein Metallbein vor das andere.
    In der einen Sekunde schlief der Scharfschütze noch, in der nächsten bellte schon ein Gewehr in seinen Händen. Die Kugel traf den Spinnenkörper, es blitzte hellgrün – der Blitzschild der Spinne. Die Spionageeinheit vollführte ein Ausweichmanöver und flitzte in wildem Zickzack über den Balkon. Der Scharfschütze schoss noch mal, fluchte und rannte hinter der Spinne her. Im nächsten Moment folgten ihm die beiden Vikinger.
    Kaldar stemmte sich über die Brustwehr und zog Audrey hoch. Dann rannten sie zur Tür und warfen sich dagegen. Audreys Händen entwich grüne Magie und floss in die Tür. Sie biss sich auf die Unterlippe.
    Vom anderen Ende des Balkons war aufgeregtes Geschrei zu hören.
    »Schnell, Liebes«, zischte er.
    »Das ist ein massives Schloss«, knirschte sie. Auf ihrer Stirn stand Schweiß.
    Schritte und ein gedämpfter Wortwechsel drangen an ihre Ohren. Die Vikinger kamen zurück. Endlich klickte es, die Tür ging auf. Audrey schlüpfte hinein. Kaldar rannte hinterher, schloss die Tür – drei Schlösser, kein Wunder, dass sie länger gebraucht hatte – und verriegelte sie von innen. Dann drückten sie sich, fast ohne Luft zu holen, gegen die Tür.
    Nichts.
    Kein schweres Atmen, kein Rütteln an den Schlössern, nichts. Sie waren drin.
    Vor ihnen führte ein kurzer Korridor zur Stahlkammer. Kaldar tippte den Vogel an und deutete auf die Tür. Der Vogel startete, erkundete den Korridor, kehrte zurück und setzte sich auf seinen Arm.
    Er schien kein bisschen aufgeschreckt. Wenn er noch mal mit George zusammenarbeitete, würden sie sich eine Zeichensprache ausdenken müssen. Gespreizte Flügel: Freie Bahn. Geschlossene Flügel: Rennt um euer Leben. Oder irgendwas in der Art.
    Sie liefen durch den Korridor. Die Stahlkammer hinter einer gewaltigen, runden Tür lag ganz an dessen Ende. Audrey ging davor in die Knie.

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