Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)
lieber mal das nächste Schloss vor.«
»Hast du ein Problem mit Häusern?«, wollte Kaldar wissen.
»Als ich noch klein war, sind wir viel umgezogen«, erklärte sie, während sie sich das Schloss ansah. »Ich kann gar nicht mehr zählen, in wie vielen Häusern wir gewohnt haben. Gehört hat uns keines davon. Ich will mit dir in unserem Haus leben. Okay, kann sein, dass du mir doch helfen musst, ich brauche hier eine dritte Hand.«
Sie machten sich etwa zehn Minuten an dem Schloss zu schaffen. Endlich klickte es. Flüsternd ging die Tür zur Stahlkammer auf. Im Innern flammte nach und nach die Beleuchtung auf, schwach nur, aber ausreichend, um einen langen, rechteckigen Raum erkennen zu lassen. Hier und da haufenweise Goldmünzen. An den Wänden, unter Panzerglas, kostbare Kunstwerke. Apparate und Statuen aus beiden Welten auf Podesten, dahinter farbige Punktstrahler. Rechts unter Glas ein riesiger Rubin, der wie ein blutiger, gefrorener Tropfen aussah.
»Das schlägt alles«, flüsterte Audrey.
Kaldar drehte klickend ein Rädchen an seinem Fernrohr und unterzog den Raum einer genauen Prüfung. Keine weiteren Verteidigungsanlagen. Wieder drehte er das Rädchen.
»Nichts. Entweder verwendet Morell etwas, von dem der Spiegel keine Ahnung hatte, oder er hat es nicht für nötig gehalten, eine Alarmanlage in seine Stahlkammer einzubauen. Wollen wir es drauf ankommen lassen?«
Audrey nickte. »Sie zeigen mir wirklich interessante Orte, Master Mar.«
»Ich gebe mir Mühe, dich zufriedenzustellen.«
Audrey hielt den Atem an. Gemeinsam traten sie einen Schritt vor.
Nichts.
Sie atmete aus.
Kaldar sah auf die Uhr und verkündete: »Noch zwölf Minuten.«
Sie benötigten beinahe zehn Minuten, bis sie die Diffusoren gefunden hatten. Sie lagen noch in derselben Holzbox, die Audrey gestohlen hatte. Sie öffnete sie und betrachtete die Zwillingsarmbänder. Der Ursprung ihrer sämtlichen Probleme. Eiskalt überlief sie die Furcht.
Kaldar zog die Fälschung aus seinem Rucksack.
»Das sind sie«, sagte Audrey. »Dafür sind mein Bruder und Gnom gestorben.«
Er kauerte sich neben sie.
»Am liebsten würde ich die Zeit bis zu jenem Moment zurückdrehen, als mein Vater mich gebeten hat, diesen Job für ihn zu übernehmen. Ich wünschte wirklich, ich hätte Nein gesagt.«
»Aber dann wären wir uns niemals begegnet.« Er zog sie an sich und küsste sie.
»Ich wünschte, es wäre schon alles vorbei«, sagte Audrey leise. »Ich wünschte, wir hätten es hinter uns und wären frei. Ich habe so ein schreckliches Gefühl, dass noch irgendwas schiefgeht.« Die Sorge drehte ihr den Magen um, seit Helena d’Amry im Ballsaal aufgetaucht war. Ihre Intuition verriet ihr, dass die Dinge nun aus dem Ruder laufen würden, und sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, sich auf ihre Intuition zu verlassen. Sie hatte sie schon mehr als einmal davor bewahrt, erwischt zu werden, und nun schrie sie sie an, von hier zu verschwinden. Aber sie waren noch hier, und vor dem Ende der Versteigerung am nächsten Tag konnten sie nicht weg.
»Ich weiß«, sagte Kaldar. »Mir geht’s genauso. Aber es wird alles gut.« Als Audrey sich die Diffusoren ansah, überkam sie der irrationale Drang, sie zu zerstören.
»Komm jetzt«, sagte Kaldar. »Tauschen wir sie aus, und fertig. Noch zehn Minuten, bis die Spinne die Wachen aufscheucht.«
Sie vertauschten die Armbänder, stellten die Box auf ihr Podest zurück und verließen die Stahlkammer.
Der Morgen kam für Audreys Geschmack viel zu schnell. Nachdem Kaldar sie letzte Nacht, während sie beide an der senkrecht abfallenden Mauer hingen, geküsst hatte, war sie in ihr Zimmer zurückgestiegen, hatte sich umgezogen und war zu Bett gegangen.
Dann lag sie wach, wälzte sich auf die Seite, auf den Bauch und wieder auf die Seite. Sie drehte und wendete das Kissen, bis es auf beiden Seiten so heiß war, dass man nicht mehr darauf schlafen konnte.
Schließlich schlief sie doch ein und wachte im ersten Morgenlicht müde und zerschlagen auf. Cerise hatte ihr ein Kleid geliehen, eine komplizierte, verwickelte blaue Angelegenheit, die anzuziehen ewig Zeit kostete. Wenigstens war der Rock weit genug, um darin laufen zu können, während die Falten den Dolch verbargen, den sie von Gaston erhalten hatte.
Nun mussten sie nur noch den heutigen Tag überstehen. Nur irgendwie überstehen.
Ein Diener brachte ein Frühstückstablett. Sie zwang sich, von den Früchten zu kosten und ein kleines Stück einer süßen
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