Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)
Pastete zu essen. Niedriger Blutzucker war in ihrer Branche nicht gut.
Da klopfte es an der Tür.
»Herein!«
Cerise brachte eine an einer länglichen Metallscheibe befestigte Sammlung kurioser Schnallen und Gurte herein. Die etwa zehn Zentimeter breite und fünfzehn Zentimeter lange Scheibe trug die verschlungenen Verzierungen des Weird, die normalerweise auf stark magisch aufgeladene Geräte im Innern schließen ließen.
»Was ist das?«
»Ein Fluchtgeschirr für den Notfall.« Cerise reichte es ihr. »Denken Sie an einen Fallschirm. Kaldar hat auch so was. Mehr als einen. Die Dinger gehören bei jedem Einsatz zur Grundausstattung. Man weiß ja nie, wann man in einen Abgrund springen muss. Wir legen das Geschirr über dem Nachtanzug an und verstecken beides unter einem passenden Kleid.«
Auf der Suche nach Schwachstellen strich Audrey unwillkürlich mit den Händen über die Gurte. »Warum haben Sie sich für den Spiegel entschieden?«
Cerise saß neben ihr auf dem Bett. »Ungefähr vor zwei Jahren geriet meine Familie in Schwierigkeiten. William wurde mit dem Spiegel handelseinig: Er erklärte sich bereit, uns in Adrianglia Asyl zu gewähren, wenn William sich im Gegenzug für zehn Jahre verpflichtete. Er ist als Soldat ausgebildeter Gestaltwandler. Diese Arbeit tut ihm gut. Er kann sich in sämtlichen Fähigkeiten üben, die er ohnehin besitzt.« Cerise seufzte. »Aber wenn ihm während der Zeit, in der er seine Schulden gegenüber dem Spiegel abarbeitet, etwas zustößt, würde ich mir das niemals verzeihen. Ich will nicht, dass er wegen meiner Familie stirbt. Deshalb arbeite ich mit ihm zusammen. So sind wir immer zu zweit und halten uns gegenseitig den Rücken frei.«
»Was passiert, wenn William schon vor Ablauf der Frist für den Spiegel zu arbeiten aufhört?«, wollte Audrey wissen.
»Das wird er nicht. Er hat sein Wort drauf gegeben. Und wenn doch, verliert unsere Familie ihre Zuflucht.«
»Und Kaldar?«
»Kaldar hat keine derartige Vereinbarung mit dem Spiegel getroffen«, antwortete Cerise. »Er ist dabei, weil er sich rächen will. Und weil der Spiegel durch seine und meine Arbeit einen zusätzlichen Anreiz hat, meine Familie auch dann noch zu beschützen, wenn William etwas zustößt.«
Nichts in der Welt war umsonst. Audrey betrachtete das Geschirr.
»Schauen Sie, so übel ist das doch gar nicht.« Cerise grinste sie an. »Mir gefällt’s jedenfalls. Solange wir uns an die Vorgaben halten und Ergebnisse liefern, behandeln die uns, als wären wir Helden. Kommen Sie, Zeit zum Anziehen.«
Eine halbe Stunde später klopfte ein Wächter an die Tür. Die Versteigerung fing gleich an. Audrey und Cerise folgten William und dem Wächter durch den Korridor in einen Saal, den Audrey prompt als »Blauen Salon« titulierte.
Der Raum hatte fünf Ausgänge, jenen, durch den sie hereingekommen waren, und jeweils zwei auf jeder Längsseite. Sämtliche Wände waren in einem fröhlichen, hellen Blau gestrichen. An jedem Eingang standen zwei Wachposten, zwei weitere am anderen Ende des Saals, wo ein Auktionatorpult die Reihen blau gepolsterter weißer Stühle links und rechts des Mittelgangs überragte. Links vom Pult stand, dem Publikum zugekehrt, ein thronartiger Sessel. Kein Zweifel, dort würde Morell Platz nehmen. Während sie zu ihren Plätzen geführt wurden, reckte Audrey den Hals, bis sie in der dritten Reihe die Jungen entdeckte. Ein in schwarzes Leder gekleideter Gaston beaufsichtigte sie und trug eine spöttische Miene zur Schau, bei deren Anblick die Leute zusammenzuckten. Ein Stück Richtung Podium unterhielt sich Kaldar mit Morell. Sie wirkten entspannt, ihre Haltung signalisierte ein gutes Nervenkostüm. Morell lächelte. Der Räuberbaron schien Kaldar wirklich zu mögen.
Mögen oder nicht, töten würde er ihn so oder so. Audrey zählte allein im Blauen Salon zwölf Wachen. Und die Einzige, die sich hier umsah, war sie auch nicht. Ringsum spähten Leibwächter den Saal aus, während sie ihre Arbeitgeber zu ihren Plätzen führten.
Cerise nahm Platz – auf dem dritten Stuhl ihrer Reihe. Audrey hielt inne, weil sie damit rechnete, dass William sich ihr anschloss, doch der schüttelte nur den Kopf. »Gehen Sie.«
»Aber sitzen Sie nicht besser zusammen?«
»Sie sitzen zwischen uns«, erklärte William. »So können wir besser auf Sie aufpassen.«
Audrey nahm neben Cerise Platz. Kaldars Cousine drückte ihr die Hand und hauchte: »Bleiben Sie immer bei mir.«
Im nächsten Moment setzte
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