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Land der Sehnsucht (German Edition)

Land der Sehnsucht (German Edition)

Titel: Land der Sehnsucht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamera Alexander
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werden, falls der Chirurg überhaupt einwilligt. Sonst ist es zu spät.“ Lilly hob den Saum ihres Rocks und zeigte die Schiene, die über ihr ganzes rechtes Bein verlief. „Mein linkes Bein wird weiter ganz normal wachsen, sagt er.“ Ihre Stimme wurde leiser. „Aber das rechte nicht. Das eigentliche Problem sind jedoch nicht meine Beine, sondern meine Wirbelsäule.“
    Lilly setzte sich höher auf, als sie das sagte, obwohl Véronique bezweifelte, dass dem Mädchen diese Bewegung überhaupt bewusst war.
    Lilly legte die Hand an ihren Rücken. „Meine Wirbelsäule ist unten zu sehr auf eine Seite gekrümmt und drückt auf einen Nerv.“
    Véronique runzelte die Stirn. „Das bereitet dir große Schmerzen, nicht wahr?“
    „Nur an manchen Tagen. In den letzten Monaten hat Dr. Hadley mir eine Medizin dagegen gegeben. Ein Pulver, das ich in meinen Tee mische, aber es hilft nicht mehr so gut wie früher. Er hat mir auch Übungen gezeigt, aber die helfen auch nicht mehr.“ Sie sah auf ihre Hände hinab, die sie fest in ihrem Schoß gefaltet hatte. „Aber so schlimm sind die Schmerzen eigentlich nicht. Ich habe gelernt, damit umzugehen.“
    Die Reife in Lillys Stimme, die Endgültigkeit und Akzeptanz ihrer Umstände verstärkte Véroniques Schmerz nur noch mehr. Ein so junges Mädchen sollte nicht so stark sein müssen.
    Véronique formulierte vorsichtig ihre nächste Frage. „Hat Dr. Hadley gesagt, welche anderen Möglichkeiten es gäbe, falls du und deine Eltern euch entscheidet, diese Operation nicht vornehmen zu lassen?“
    Ein dunkler Schatten zog über Lillys Gesicht. „Aufgrund der Notizen, die Dr. Hadley vor einem Monat über mich nach Boston geschickt hat, sagte der Chirurg, dass ohne die Operation …“ Ihre Stimme versagte. Ihr Brustkorb hob und senkte sich, aber sie gab keinen Ton von sich. „Er sagte, dass ich – Tränen traten in ihre veilchenblauen Augen – in spätestens einem Jahr nicht mehr gehen kann.“
    Véroniques Kehle war wie zugeschnürt. Sie versuchte, etwas zu sagen, konnte es aber nicht.
    „Ich werde im Sommer zwölf, Mademoiselle Girard.“ Ein trauriges Lächeln zog über Lillys Mund. „Und ich habe noch nie mit einem Jungen getanzt. Ich habe mit meinem Papa getanzt.“ Aller Mut verließ sie, und ihre tapfere Miene verschwand. „Aber das zählt nicht!“
    Véronique zog Lilly an sich heran und flüsterte ihr tröstende Worte zu. Plötzlich war ihre Frustration, weil sie nicht mehr malen oder zeichnen konnte, im Vergleich zur Not dieses Mädchens völlig unwichtig und egoistisch.
    Sie holte ihr besticktes Taschentuch aus ihrem Ärmel und reichte es Lilly. Dass das Mädchen noch so jung war, überraschte sie. Sie war noch jünger, als Véronique vermutet hatte. Ihr Verstand arbeitete auf Hochtouren und verarbeitete, was Lilly ihr gesagt hatte. Véroniques Stimme war ganz leise, als sie fragte: „Dr. Hadley hat noch mehr gesagt, nicht wahr? Die Risiken der Operation? Sind sie groß?“
    Lillys Gesichtsausdruck wurde vorsichtig. „Der Chirurg hat Dr. Hadley gesagt, dass er bis jetzt achtundvierzig Kinder operiert hat, die das gleiche Problem wie ich oder ein ähnliches hatten. Bei neununddreißig von ihnen wurde es besser und sie können jetzt normal gehen. Bei vier half die Operation nicht und sie sind trotzdem Krüppel.“
    Véronique runzelte die Stirn. „Aber was wurde aus den anderen fünf …“ Als sie Lillys Blick sah, brach sie mitten im Satz ab und wünschte, sie hätte erst genauer nachgedacht, bevor sie diese Frage aussprach. Sie nickte. „Und … haben du und deine Eltern schon eine Entscheidung getroffen, ma Chérie? Falls der Chirurg einwilligt?“
    „Meine Eltern sind sich darüber noch nicht im Klaren. Sie sprechen viel darüber. Ich höre sie nachts, wenn sie meinen, ich würde schon schlafen. Selbst wenn wir das Geld hätten, weiß ich nicht, wie ihre Entscheidung ausfiele. Dr. Hadley hat Papa gesagt, wenn die Leute in der Stadt es wüssten, würden sie uns helfen wollen und uns etwas geben, da meine Eltern den Leuten so viel Gutes tun.“
    „Damit hat der Arzt bestimmt recht. Ich bin zwar erst seit kurzem in Willow Springs, aber ich weiß, dass dein Papa und deine Mama in dieser Stadt sehr geschätzt werden.“
    Ein schwaches Lächeln zog über Lillys Lippen. „Merci beaucoup, Mademoiselle Girard. Aber viele Menschen leiden an Krankheiten und bitten andere nicht um besondere Hilfe.“
    Der Gedanke kam ihr so schnell in den Sinn, dass Véronique nicht

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