Land der Sehnsucht (German Edition)
ebenfalls wusste. Sie wollte sich nicht vorstellen, dass der Mund dieses Bettlers tatsächlich ihre Haut berührte. Egal, was sie sich sagte, ihr Arm wollte sich einfach nicht von ihrer Seite bewegen. Bis sie Jack anschaute.
Er nickte ihr fast unmerklich zu, und seine Augen sagten ihr, dass ihr nichts passieren würde.
Verlegen, mit einem Knoten im Magen und völlig gegen ihren Willen, machte sie einen Knicks und reichte ihm ihre Hand. „Die Freude ist ganz meinerseits, Monsieur Roberts.“ Sie versuchte, nicht das Gesicht zu verziehen, als er ihre Hand nahm und sie küsste. Als sie den Blick hob, schnürte sich ihre Kehle zusammen.
Tränen standen in den rötlich unterlaufenen Augen des alten Mannes, und trotz der gesellschaftlichen Kluft zwischen ihnen fühlte sich Véronique seiner unübersehbaren Verehrung sonderbar unwürdig.
„Jetzt, Madam, müssen Sie sich etwas aussuchen.“ Er winkte sie mit seiner von Arthrose geplagten Hand zu seinem Wagen. „Heute kostet es Sie nichts. Suchen Sie sich aus, was Sie möchten.“
Sie schüttelte den Kopf. „Merci beaucoup, aber ich brauche heute nichts, Monsieur.“ Das Kinn des Mannes zitterte leicht, und Jack Brennans kaum merkliches Kopfschütteln verriet ihr, dass sie einen Fehler gemacht hatte. „Andererseits, wenn ich es mir recht überlege – Jacks Lächeln kehrte bereits zurück –, könnte ich vielleicht doch etwas finden, wenn ich genauer nachschaue.“
„Davon bin ich fest überzeugt.“ Der Mann zog ein Tuch aus seiner Hosentasche und begann die alten Trinkbecher abzuwischen, bevor er ihr einen nach dem anderen hinhielt.
Schließlich entschied sich Véronique für einen Porzellanbecher, dem leider der Henkel fehlte, obwohl sie ihn bestimmt nie zu seinem ursprünglichen Zweck benutzen würde, egal, was Jack sagte oder machte. Alles hatte seine Grenzen. „Merci, Monsieur Roberts. Und ich bestehe darauf, dass Sie das hier nehmen.“ Sie hielt ihm die Münzen hin und spürte Jacks Zustimmung. „Nichts ist schöner, als wenn man an Stellen, an denen man es nicht erwarten würde, einen Schatz findet, nicht wahr?“
Kapitel 18
Véronique zerriss das Pergament in der Mitte und knüllte es zusammen. Der Stift wollte ihr einfach nicht gehorchen. Einen Moment lang hätte sie fast dem Wunsch nachgegeben, ihn in der Mitte zu zerbrechen, aber dann fiel ihr ein Malerkollege ein, der sich bei einer so törichten Reaktion die Finger verletzt hatte.
Sie stand vom Schreibtisch auf und ging in ihrem Hotelzimmer auf und ab, soweit das in dem von ihren Koffern belagerten Raum möglich war.
Sie konnte seine Hände sehen. Das Bild stand ihr ganz deutlich vor Augen, genauso klar, als stünde der alte Bettler jetzt vor ihr, hätte seine schwachen Arme ausgestreckt und hielte sie mit den Handflächen nach oben.
Sie schloss die Augen, um sich zu konzentrieren.
Seit sie sich heute von Monsieur Roberts verabschiedet hatte, kehrten ihre Gedanken ungebeten immer wieder zu seinen Händen zurück: die durch Arthritis geschwollenen Gelenke; die Haut, die so dünn war wie Pergamentpapier und von den Spuren des Alters gezeichnet war; seine knorrigen Finger. Ihre Gedanken wanderten hin zu dem Leben, das diese Hände hinter sich hatten, und zu den Schmerzen, die sie ertragen hatten, falls die Narben, die sie bedeckten, ein Beweis dafür waren.
Sie hatte in dem Kunststudio in Paris, in dem sie studiert hatte, unzählige Hände, Füße, Arme und Beine gezeichnet. Und auch andere Körperteile – die weichen Rundungen eines nackten Frauenrückens und die gut definierten, muskulösen Schultern von Männern. Nacktmodelle waren oft das Thema bei ihren Unterrichtsstunden gewesen. Obwohl es zweifellos faszinierender war, die Nuancen eines menschlichen Körpers einzufangen als eine Vase mit Sonnenblumen oder ein Feld mit Mohnblumen zu zeichnen, war es viel schwieriger. In einer regungslosen Wiedergabe des Modells Bewegung zu zeigen und Leben zu vermitteln – das war eine Kunst, die sie jahrelang studiert hatte. Und dennoch hatte sie damit immer noch Mühe.
Véronique setzte sich wieder an den Schreibtisch. Aus fernen Winkeln tief in ihrem Inneren nahm sie jedes Gramm Selbstvertrauen zusammen, das sie je besessen hatte, und erinnerte sich an jedes flüchtige Kompliment, das ihr jemand einmal für ihre Arbeit gemacht hatte. Sie konzentrierte diese Energie auf das frische Pergamentpapier vor sich und begann erneut.
Der Stift bewegte sich mit einem Rhythmus über das Papier, der früher
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