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Land des Todes

Land des Todes

Titel: Land des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
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spürte, wie mir leichter ums Herz wurde, je weiter wir uns von der Stadt entfernten.
    Gegen Mittag des zweiten Tages erreichten wir das Nordplateau. Wir hielten an einem Gasthof für ein hastiges Mittagessen. Als ich aus der Kutsche stieg, schaute ich auf, und es verschlug mir den Atem: Es war mein erster Anblick der überwältigenden Schwarzen Berge, die sich bisher nur als Schatten am Horizont abgezeichnet hatten, ummantelt von Legenden. Ihre schiere Präsenz war ehrfurchtgebietend: ihre Felswände türmten sich in den fernen Himmel, diesige Wolken verhüllten ihre Gipfel, ihre dunklen Hänge fielen mit einer starren,merkwürdig schamlosen Schönheit zum Nordplateau hin ab, dem Land des Todes, das sich grau und flach unter einem dünnen Schneeanstrich vor mir erstreckte.
    Elbasa liegt in der Mitte des Plateaus an der Hauptstraße, die durch diese Region verläuft, und stellt folglich einen der bedeutenderen Orte in diesem Teil des Landes dar.
    Als ich im Zuge meiner Reiseplanung betonte, keinerlei Nähe zu einer Ortschaft zu wünschen, da ich alles Städtische hinter mir zu lassen gedächte, lachte mein Freund Grosz, der mir meine Unterkunft vermittelt hatte, herzlich und versicherte mir, dass ich in einer Region, in der die meisten Dörfer höchstens aus einem halben Dutzend Häuser beständen, wohl kaum auf etwas treffen würde, das ich als Ortschaft bezeichnen würde.
    »Mein lieber Hammel«, sagte er, als er sich wieder beruhigt hatte. »Ich weiß, dass du im Gegensatz zu mir noch nicht durch das Land des Todes gereist bist. Du magst den Namen vielleicht für pathetisch halten: Ich versichere dir, das ist er nicht. Es gibt kaum weniger düstere Anblicke als jene trostlose Landschaft von Friedhöfen! Vergiss nicht, der Norden ist die Wiege der Vendetta, der Blutrache. Dort hat der Tod eine andere Bedeutung; die Menschen leben unter seinem Zepter, und der Tod ist ihre Währung. Die Landschaft ist, das versichere ich dir, von höchst romantischer Schönheit, doch es ist eine ausgesprochen herbe Schönheit. Dort wirst du dem Leben in seiner rauesten Form und unbemäntelten Blöße begegnen! Eh du dich versiehst, wirst du dich nach den überlaufenen Straßen der Stadt sehnen!« An der Stelle grinste er sogar.
    Ich hielt Grosz damals zugute, dass er angeheitert und daher nicht vollends verantwortlich für seine Worte war. Und doch erwiderte ich etwas säuerlich, dass ich mir vor allem wohltuende Abgeschiedenheit wünsche und sehr wohl in der Lage sei, die eigene Gesellschaft zu genießen. Und dass ich darüber hinaus, zumal ich auf einem Landsitz aufgewachsenwar, durchaus mit den raueren Sitten und eigenen Gesetzen vertraut sei, die in der Provinz herrschten.
    Nach wie vor lächelnd lehnte sich mein Freund vor und stieß mich in die Rippen. »Dann lass mich dir zumindest eines dieser eigenen Gesetze eindringlich ins Gedächtnis rufen«, sagte er. »Im Gegensatz zu den Bauernmädchen der Tiefebene sind die Mädchen im Land der Toten nicht zu haben. Sie haben einen hohen Preis.«
    »Dessen bin ich mir vollauf bewusst«, erwiderte ich knapp.
    »Tja, vergiss es nicht«, mahnte mich Grosz, nun deutlich ernster. »Ich kenne dein Naturell, Hammel. Und ich schwöre dir, nie habe ich solche Augen gesehen, wie man sie bei manchen der Hochland-Frauen findet. Aber allein sie anzublicken, ist gefährlich. Und ich rede hier nicht nur von Messern. Flüche bedeuten auf dem Plateau etwas völlig anderes …«
    Einen Augenblick lang wurde mir bewusst, dass er es wirklich ernst meinte, und mich schauderte. Plötzlich erinnerte ich mich lebhaft daran, wie ich vor etwa einem Jahr einen Zauberer des Hochlands in der Stadt gesehen hatte. Er trug den Stab seines Berufsstandes, ansonsten jedoch lediglich die schmucklose Kluft eines Hochlandhirten. Er hatte einen stummen kleinen Jungen bei sich, dem die Zunge herausgeschnitten worden war, wie es vor einigen Jahrhunderten alle Zauberer zu tun pflegten. Wie viele altertümliche Traditionen war auch dies ein Brauch, dem man im Land des Todes nach wie vor frönte. Mich schauderte beim Anblick des verstümmelten Knaben, und ich fragte mich, weshalb ich noch nie gehört hatte, was mit solchen Jungen geschah, wenn sie ihren Zweck erfüllt hatten und erwachsen geworden waren: Tötete man sie oder setzte man sie aus? Oder erhielten sie gar eine Belohnung für ihre Dienste und führten fortan ein unbescholtenes, wenngleich schweigsames Leben?
    Das Auftreten des Zauberers wirkte dermaßen hochmütig,

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