Land des Todes
dass es fast an Ungehörigkeit grenzte, und er ging mit den weit ausholenden Schritten eines Menschen, der an weiteRäume gewöhnt ist. Mir fiel auf, dass ihm die Leute trotz des dichten Gedränges, das auf der Straße herrschte, aus dem Weg gingen. Seine funkelnden Augen wanderten unstet umher, der Mund war verächtlich verzogen. Als ich an ihm vorbeischlenderte, wobei ich ihn ob meiner Neugier anstarrte, trafen sich unabsichtlich unsere Blicke, und mir schoss eine eisige Kälte ins Herz. Einen Atemzug lang glaubte ich fast, er hätte mich gestochen. Erfüllt von einem wachsenden Grauen gelang es mir, ihn zu passieren, danach bog ich förmlich im Laufschritt um die nächstbeste Ecke. Dort hielt ich inne, rang nach Luft und konnte mir die Panik nicht erklären, die so kurz Besitz von mir ergriffen hatte.
Ja, ein jeder wusste von den Flüchen der Zauberer des Hinterlands und von den Blutgesetzen. Doch genau das war mit ein Grund dafür, weshalb ich unbedingt dorthin wollte – um die wilden Gebräuche in jenen Gefilden mit eigenen Augen zu sehen. Mein Freund hatte mir erzählt, das Leben dort beschränke sich auf das Notwendigste: Jede Handlung wurde mit dem Siegel des Todes unterfertigt, und die Hinterländler, Männer wie Frauen, gehorchten dessen unerbittlichen Gesetzen bedingungslos. Dort, so meinte mein Freund und wurde lyrisch wie so oft nach mehreren Gläsern Wein, erfahre das Leben seine wahre, obsidianschwarze Bedeutung.
»Aber halte dich von den Frauen fern«, warnte er mich erneut und sah mich über sein Glas hinweg aus schmalen Augen an. »Es sei denn, du möchtest in jenes tragische Getriebe geraten. Denn ist man erst einmal mit den Gesetzen des Nordens in Konflikt geraten, gibt es kein Entrinnen mehr.«
Diese Unterhaltung rief ich mir ins Gedächtnis, während ich die Schwarzen Berge bestaunte, deren düsteres Gewicht mir selbst aus der Ferne das Herz schwer werden ließ. Einen Augenblick lang bedauerte ich meine Entscheidung, zum Plateau gereist zu sein. Ich stand kurz davor, meinem Kutscher aufzutragen, zu wenden und zurück nach Süden zu den Obstgärten meiner Jugend zu fahren. Doch etwas in mir – vielleicht der Gedanke an den unausgesprochenen Hohn meines Freundes, sollte ich schon so bald zurückkehren – lehnte sich gegen mein Zaudern auf. Und so schwieg ich und zog nur den Kopf ein, um durch den niedrigen Eingang des Gasthofs zu treten, in dem ich mein einfaches Mittagsmahl genießen sollte.
Ich traf zwei Tage später in Elbasa ein. Es herrschte kalter, durchdringender Regen. Das Plateau – oder was ich durch die grauen Wasserschleier davon sehen konnte – präsentierte sich besonders trostlos und unfreundlich. Meiner Stimmung war das nicht förderlich. Ich fragte mich, was mich beseelt haben mochte, diesen trübseligen Teil der Welt zu besuchen, während ich stattdessen in einem der Vergnügungsboote der Wasserstadt liegen oder durch die unvergleichlichen Kunstwerke in den Museen der Stadt des Lichts hätte schlendern können.
Wir passierten mehrere kleine Dörfer, von denen jedes, wie mein Freund es beschrieben hatte, aus höchstens einem halben Dutzend Gebäuden bestand. Die Häuser hatte man aus dem schwarzen Basalt jener Gegend errichtet, und es handelte sich vorwiegend um bescheidene Behausungen mit grauen Schrägdächern aus Schiefer. Meiner Einschätzung nach konnten nur wenige der Gebäude mehr als zwei oder drei schlichte Räume beinhalten. Trotz des von meinem Freund versprochenen Komforts fragte ich mich, ob das Haus, das mich in Elbasa erwartete, wohl meinen Ansprüchen genügen würde, und meine Zuversicht schwand.
Das einzig Interessante entlang der Straße waren die Steintürme, die sich außerhalb mancher Dörfer fanden. Wie mahnende Finger zeigten sie himmelwärts, besaßen als Fenster lediglich glaslose Schlitze und erstreckten sich bisweilen über vier Geschosse. Dennoch waren die Gebäude eher schmal; der Durchmesser ihrer Fundamente konnte nicht mehr als zehn Schritte betragen. Ich wusste, dass dies die Odu waren, Zufluchtsstätten, in denen jemand, über dem die Blutracheals drohendes Schwert schwebte, unbehelligt leben konnte, allerdings ausgeschlossen von der menschlichen Gesellschaft. Nur nachts, in den Stunden der Gnade, durften sich die Unseligen hervorwagen, um sich Nahrung zu beschaffen. Fasziniert fragte ich mich, wie viele arme Gestalten ihr Dasein in der Dunkelheit dieser ungemütlichen Orte fristeten und ob ein solches Leben wirklich besser war
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