Land des Todes
als der schnelle Tod durch eine Kugel auf einer verwaisten Straße.
Der Frühling musste auf dem Nordplateau erst noch Einzug halten: Die Obstbäume standen verkümmert und bar jeglicher Blüten da, das flache Gras präsentierte sich welk und gelblich. Das einzige Grün stammte vom dunklen Blätterkleid einiger zottiger, allein stehender Kiefern. Einsame Ziegen und feuchte Hühner machten sich lustlos an den Misthaufen der Dörfer zu schaffen, und vereinzelt sah ich plumpe Frauen, die, von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllt, ihren Haushaltspflichten nachgingen. Außerhalb jedes Dorfes lag ein schlichter, unumzäunter Friedhof mit von Steinen umsäumten Gräbern. Recht häufig erblickte ich neben der Straße einzelne Denkmäler, stets errichtet fernab jeglicher Wohnstätten – graue Steinhaufen, dunkel vom Regen. Nach einigen weiteren Meilen vorbei an diesen wehmütigen Zeichen beschlich mich allmählich das Gefühl, durch ein einziges, endloses Begräbnisfeld zu reisen.
Auf der Straße passierten wir nur sehr wenige Menschen. Gelegentlich begegnete uns ein dunkel gekleideter Wanderer, der stoisch vor sich hinstapfte, den Kopf gegen den Regen eingezogen, ein Gewehr über den Rücken geschlungen, die Waffe in Sackleinen gehüllt, um sie vor der Feuchtigkeit zu schützen. Ich starrte missmutig und gelangweilt aus dem Fenster der Kutsche und fror, während ich zunehmend bedrückter wurde.
Wir fuhren gerade an einem weiteren einsamen Wanderer vorbei, als dieser beiläufig zur Kutsche aufschaute und kurz meinem Blick begegnete. Mir stand der Atem still: Obwohl es sich um einen jungen Mann handelte, der auf die dunkleWeise der Menschen des Hinterlands durchaus gut aussehend zu nennen war, wirkte er wie ein wandelnder Leichnam. Seinen Augen fehlte es an jeglichem Glanz, seine Züge präsentierten sich blass und regungslos wie behauener Marmor. Dabei strömte ihm der Regen über das Gesicht, als wäre er tatsächlich eine Statue. Mein Herzschlag beschleunigte sich, als mir das weiße Band auffiel, das er um den rechten Arm trug. Dies also war einer der Toten; meine erste Begegnung mit einem derjenigen, die unter dem Zeichen der Vendetta wandelten. Das Band um seinen rechten Arm wies darauf hin, dass er »seinen Mann« getötet hatte, sich aber noch im Gnadenmonat befand. Nach Ablauf des Monats würde er das Band am linken Arm tragen, und dann konnte ihn der Tod bei Tageslicht jederzeit ereilen. Es sei denn, er suchte Zuflucht in den Odu , dazu verdammt, nie wieder die Sonne zu sehen.
Ich beobachtete, wie seine einsame Gestalt in der Ferne entschwand, zutiefst berührt von der tragischen Schönheit jenes Mannes. Wie ein Engel des Todes durchwanderte er diese Landschaft des Todes. Und zum ersten Mal begann ich, die Worte meines Freundes über das Nordplateau wirklich zu verstehen. Doch paradoxerweise munterte mich diese Begebenheit auf: Vielleicht würde ich in dieser gottverlassenen Gegend doch etwas finden, das mein Interesse weckte.
Kurz vor Einbruch der Abenddämmerung rollte meine Kutsche klappernd auf den winzigen Platz in der Ortsmitte von Elbasa. Einige verirrte Sonnenstrahlen kämpften sich durch einen Riss in der niedrigen Wolkendecke und verliehen der Szenerie spärliche Wärme. Während sich mein Kutscher in den Regen hinauswagte, um sich nach dem Weg zum Haus zu erkundigen, betrachtete ich durch das Fenster des Gefährts missmutig die Ortschaft. Auf einer Seite des Platzes befand sich eine Schenke, auf der anderen ein Gebäude, das ich für das Haus des Bürgermeisters hielt. In der Mitte stand eine uralte, verkümmerte Linde, ein trister Abklatsch seiner üppigen Vettern im Süden. Darunter erblickte ich einen verwitterten Steinsitz neben einem Teich mit dunklem, vor faulendem Laub strotzendem Wasser. Ein schmuddeliges Ladengeschäft sowie Häuserreihen mit geschlossenen Fensterläden vervollständigten den traurigen Eindruck.
Nach fast einer Woche des Reisens konnte ich es kaum erwarten, die Kutsche zu verlassen und mich in einem gemütlichen Haus niederzulassen. Ich sehnte mich nach einem heißen Bad, einem tüchtigen Schrubben meines Rückens durch meinen Diener und einem anschließenden Glas Madeirawein an einem knisternden Feuer, bevor ich mich dankbar in ein behagliches Bett fallen ließe. Dass es mir gelang, all das tatsächlich auch zu bekommen, versetzte mich in beträchtliches Erstaunen, wie ich gestehen muss.
Der Bericht meines Freundes erwies sich als zutreffend: Das Haus, das ich für die
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