Land Spielen
Rücken streichen, wollten ihm nicht sagen müssen, dass er das alles nicht so schwer nehmen solle.
Wenn die Schweigerin spricht und der Redner schweigt, dann weiß man, dass etwas nicht gut ist.
Wahrscheinlich haben wir nicht nur das Match, sondern auch das Spiel verloren, wahrscheinlich haben die Kartenspielergegner erst den Städter ausgelacht und dann den Kartenspielerfreund, der mit so einem einen Stich haben wollte gegen solche wie sie. Und der Kartenspielerfreund hat wahrscheinlich den Kopf geschüttelt und etwas Verächtliches gesagt, vielleicht hat ja einer gefragt, ob man noch eine Runde spielen wolle, und der, mit dem man eigentlich verbündet sein sollte, sagte: »Aber mit dem da spiele ich nicht noch mal.« Wahrscheinlich wollte dann auch kein anderer mit dem da spielen. Und auch
gegen
den da eher nicht. Man gewinnt zwar gerne, aber lieber im blutigen Gefecht, die Schwerter gezückt, die Visiere unten, das hier hingegen kann keiner ernst nehmen und also ist es ein schlechtes Spiel.
Unser Ältester ist ein schlechter Verlierer, hat den Hirschen nicht bezwungen und wäre jetzt gerne einer, der in Kneipen randaliert, der Glühbirnen kaputtschlägt. Gerne hätte er Hausverbot im Hirschen bekommen, wäre gerne von der Wirtin nach Hause geschickt worden. Alles wäre ihm lieber, als allein die Dorfstraße hochzuwanken, über die kleine Brücke und Richtung Haus, der einzige Ort an diesem Ort, wo er sich willkommen fühlt. Natürlich darf er zurück in den Hirschen, natürlich darf er es da wieder versuchen, keiner hat ihn weggeschickt, auch wenn keiner traurig war, als er gegangen ist. Auch er vergaß das »Meine Herren«, auch er klopfte nicht mit der flachen Hand auf den Tisch beim Aufstehen. Keiner zählte mehr die Punkte, dem Verlierer war klar, wer die Gewinner sind und dass sie sich jetzt noch eine letzte Runde gönnen, dass sie jetzt lachen und Witze reißen, dass all die Verstummten jetzt Lieder anstimmen, nicht die Internationale, sondern Lieder gegen Städter, gegen Zugezogene, gegen schlechte Kartenspieler und Menschen, die beim Mischen die Karten verbiegen.
Unser Redner ist für heute verstummt, wir sehen ihm auch so an, dass das Hirschenspiel nichts für einen ist, der früher immer der Gewinner war, der Runden unterhielt, dem der Applaus gewiss war. Wir möchten ihn feiern, den geschlagenen Kriegshelden, aber er will sich heute von keinem von uns die Wunden lecken lassen. Er geht stumm zu Bett, da kann unsere Schweigerin noch so lange auf ihn einreden und ihm sagen, sie habe es ihm ja gesagt.
Z WEI
Wir sind wir, wir sind zu fünft. Die Stärken wie die Rollen sind verteilt. Das sind der Größe nach: Sich-Verlieben (Ada), Stärke (Fabian), Erinnern (Ralf), Schweigen (Vera), Reden (Moritz). Mehr braucht es nicht. Wir sind fünf. Wir werden fünfeinhalb. Das können wir nicht wissen, wir können nicht einmal wissen, dass wir es nicht wissen wollen.
*
Seit unser Redner im Hirschen war, spricht er erstaunlich wenig, und wenn, dann höchstens durch die Zähne. Er murrt, er grummelt. Wenn wir ihn fragen, ob er uns Schieber beibringt, sagt er, dass Kartenspiele doof seien, und bei diesem hänge zu viel vom bloßen Kartenglück ab, die Regeln seien unfair, und überhaupt mögen wir nur Spiele, bei denen alle gewinnen können.
Das Landspiel ist eins davon. Man muss mit viel Einsatz spielen, muss das alte Leben aufgeben, gewinnt dafür ein neues Leben, gewinnt Spaß, gewinnt Gemeinsamkeit. Wir haben unser altes Leben eingesetzt, der Spielsieg ist das gute Leben. Wir leben, wie wir es immer wollten, auch wenn nicht alle von uns wussten, dass das, was wir hier gefunden haben, das ist, was wir immer gesucht haben. Früher hatten wir Schulfreunde, jetzt lernen wir, uns handgreiflich durchzusetzen. Früher hatten wir einen Beruf, der uns nicht glücklich machte, jetzt haben wir einen Job, der uns nicht glücklich machen muss. Jetzt haben wir Haus und Hof und uns. Da brauchen wir kein altes Leben, da brauchen wir keine Dörfler, die uns sagen, wer dazugehört und wer nicht. Wir sind nicht hergekommen, um Dorf, sondern um Land zu spielen. Wir spielen gemeinsam, sind im selben Team. Auch wenn es heute bloß Moritz ist, der vor dem Haus steht, in die Frühlingsmorgensonne blinzelt und schaut, was die nächsten Spielherausforderungen sind.
Seit er das Hirschenspiel verloren hat, ist er ein noch nachdrücklicherer Verfechter von dem, was er das wahre Leben nennt.
Im wahren Leben bringt der Frühling viel
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