Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Mezger
Vom Netzwerk:
Arbeit. Mit grimmigem Gesicht und mit Pfahleisen macht er sich ans Tagwerk. Ein Schafzaun ist das Etappenziel. Maschendrahtrollen besitzen wir seit dem Herbst, sie liegen bei der Scheunenwand, der Winter hat sie zu Ellipsen verformt. Setzt man sich auf sie, federn sie nach, die Sonne scheint einem direkt ins Gesicht, die Scheunenwand ist dunkel, wärmt von hinten. Man könnte wippen und federn und sich über den Frühling freuen, aber Moritz vertreibt Rollensitzer jeweils, spricht von Knicken im Gitter, die Mehrarbeit bedeuten. Arbeit, die an ihm hängen bleibt, weil wir anderen ja doch nur helfen, wenn wir gerade Lust haben.
    Lustlos steht Moritz jetzt auf unserer Wiese. Mit dem Pfahleisen muss er vorbohren, um die Zaunpfähle tief zu verankern, damit der Zaun hält und die Schafe bei uns bleiben und nicht zum Nachbarsbauer überlaufen.
    Moritz rammt das Pfahleisen in die Erde, lässt es stecken, lässt den Vorschlaghammer darauf niedersausen, als wolle er das Eisen für immer im Boden versenken. Der Vorschlaghammer wird ins frühlingsnasse Gras geworfen, Moritz zerrt am Pfahleisen, drückt es nach rechts, drückt es nach links, nach vorne, nach hinten, bewegt es dann im Kreis. Sein Kopf ist rot, seine Stirn glänzt. Es ist die Arbeit, es ist der Ärger, dass er ganz allein hier steht, wahrscheinlich ist es auch der Gedanke an die Stumpenraucher. Ärger verleiht ungeahnte Kräfte, Moritz zieht das Eisen mit einem Ruck aus dem Loch, positioniert den Zaunpfahl, hält ihn mit einer Hand, angelt sich mit der anderen den Vorschlaghammer, haut auf das Holz, bis es von selbst steht. Nun kann er den Hammer beidhändig halten, er holt weit aus, donnert auf den Pfahl, als könne der etwas dafür, dass die Dorfmenschen charmeresistent sind, als könne der etwas dafür, dass wir anderen heute keine Zeit haben, uns die Zeit mit Spielen zu vertreiben.
    Der erste Zaunpfahl steht so unverrückbar wie die Hügel und Berge, die uns umgeben. Wir sehen von Ferne, wie Moritz ein paar Meter weiter den nächsten verankert, sehen den wuchtigen Schlag, hören den Ton zeitlich leicht versetzt, könnten diesem Phänomen stundenlang zuschauen, müssen aber leider los. Heute „können wir unseren Bewundernswertesten nicht bewundern, er muss sich heute allein um das Landleben kümmern, wir haben andere Verpflichtungen. Sie heißen Schulpflicht oder Erwerbsarbeit.
    Moritz, unser Größter, bleibt allein, bekommt seine Größe von niemandem bestätigt. Er hat sich die Arbeit selbst eingebrockt, nennt sie ansonsten freiwillig und selbstgewählt, aber das Spiel verliert schnell seinen Reiz, wenn Mitspieler oder Zuschauer fehlen.
    Moritz haut den Vorschlaghammer auf Holz, bis Holz splittert, bis der Splitter beinahe ins Auge geht, bis Moritz einen Grund hat, lauthals loszufluchen. Er verflucht den Splitter, verflucht Pfähle, die nicht von allein stehen können, verflucht den Boden, der entweder noch gefroren oder viel zu felsig ist, er verflucht die Arbeit, verflucht den Alltag, verflucht die verfluchte Idee hierherzuziehen.
    Moritz muss an die Freunde denken, die schon länger keine Freunde mehr sind, die ihn halb bewunderten, halb verspotteten, als er damals sagte: »Wir ziehen aufs Land!« Ein paar von den Freunden halfen noch beim Umbau, wenig später fehlten bald alle Gesprächsthemen, Moritz kann sich ihre Leben und Werdegänge zu gut vorstellen, er braucht nicht nachzufragen. So einen Werdegang könnte Moritz auch haben, so ein Leben, das wäre einfach. Erst die Beförderung, dann die Überstunden, dann das Geld, das man investiert in ein Auto, in ein Haus im Grünen, nahe am Stadtrand, in der Nähe von anderen Freunden, die man nie zu Gesicht bekommt, wegen der Überstunden und weil vielleicht bald die nächste Beförderung ansteht oder bald die Selbstständigkeit und sicher bald ein neues Auto. Und neue Sachzwänge, denen man die Schuld geben kann, dass nicht alles ist, wie es sein soll. Hier auf dem Land ist es anders, hier ist das gute Leben, hier ist es richtig, hier hat man alles. Außer eine Entschuldigung fürs Unglücklichsein.
    Aber das wollen Freunde nicht hören, also kommen sie nicht mehr zu Besuch. Moritz kann gerne darauf verzichten! Nein, so schnell gibt sich einer wie Moritz nicht geschlagen. Ein paar Zaunpfähle werden ihn nicht in Zweifel stürzen, ein paar Stiche und gegnerische Trümpfe kann er verschmerzen, er hat zu viel investiert, um nach einem Jahr schon aufzugeben, es ist Frühling, jetzt geht die Sache erst

Weitere Kostenlose Bücher