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Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Mezger
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entkommen, er muss Herrn Mirko finden.
    Endlich kommt er zum Gebäude, das vorne Dorfladen und hinten Milchzentrale ist. Dort steht eine Bank, darauf sitzt der Jugoslawe, der sich eine Zigarette dreht.
    Fabian setzt sich zu ihm, fragt ihn über die Langeweile aus.
    Herr Mirko sagt, er liebe die Langeweile.
    Fabian lacht.
    *
    Ada fürchtet sich in der Nacht, die Angst scheint neu. Das Haus sei alt, versuchen wir zu erklären, und dass altes Gebälk eben manchmal krache und dass da keine Schlange sei unter dem Badezimmerschrank und dass Kater sängen in der Nacht und dass das klinge wie schreiende Babys. Wir beruhigen unsere Kleinste, deren Ängste diffuser sind. Ada beginnt aufs Haus zu hören und fürchtet sich noch mehr.
    Der Wind pfeift seltsame Töne durch die Löcher in der Hauswand, er benutzt das Haus als Musikinstrument, den Rhythmus spielt er mit den Fensterläden, der Rest des Hauses ist Orgel. Das Instrument gehört ihm länger als uns, seit zweihundertfünfzig Jahren übt er täglich, da kann man keine Rücksicht nehmen auf kleine Kinder, die keinen Raum mehr betreten, ohne vorher Licht zu machen. Wir haben Ada den Trick gezeigt: Man muss den Arm ausstrecken, ihn so lang machen wie möglich, große Menschen haben große Vorteile, weil lange Arme, aber auch kleine Menschen kommen weit, können vor der Schwelle stehen bleiben, die Hand ins dunkle Zimmer strecken, um die Ecke tasten, den Lichtschalter betätigen, und schon wird es hell, schon ist der Schrecken nur noch halb so groß, denn nun sieht man, was vor einem liegt. Wir verschweigen, was Ada ohnehin weiß, dass der wahre Schrecken immer hinter einem lauert, da, wo man keine Augen hat. Da, wo man das Licht ausmachen muss. Mit demselben Trick, von der sicheren Schwellenseite aus, aber diesmal geblendet von der hellen sicheren Seite, starrt man ins plötzliche Dunkel, aus dem man kommt und aus dem nun alles kommen könnte. »Wovor genau hast du denn Angst, Ada?«, fragen wir. Oder: »Du bist so ein Schisshase, kleine Ada!« Ein paar von uns versuchen ihr den Schrecken auszutreiben, indem sie hinter Türen lauern und »Buh!« schreiend aus dem Dunkeln hüpfen. Andere tun, als wären sie reifer, lassen Ada zu sich ins Doppelbett oder sagen, dass sie das Licht im Flur anlassen dürfe, die Tür bleibt einen Spaltbreit offen. Die Nachttischlampe kann leider nicht anbleiben, Glühbirnen werden heiß, erklären wir, das Haus ist alt, sagen wir. Zweihundertfünfzig Jahre und aus Holz, das brennt leicht: »
Davor
solltest du dich fürchten.«
    Und Ada fürchtet sich. Sie liegt in ihrem Bett, ein schmaler Streifen schalen Lichts klebt an der Wand, zieht sich über den Fußboden und landet bei der Tür. Ada versucht sich darauf zu konzentrieren. Nur ans Licht zu denken. Die Glühbirne im Flur wird nicht heiß, haben wir ihr stolz erklärt, als wir auf der Leiter standen und sie reingeschraubt haben. »Schau, eine Stromsparbirne«, haben wir gesagt, solche sollten wir in allen Räumen haben. Aber Ada nimmt das als Drohung, denn sie hat die Stromsparbirne und ihre Fähigkeiten schnell kennengelernt: Die Birne ist eine alte Frau, die sich nur langsam bequemt, ihr Strickzeug wegzulegen, aus dem Sessel aufzustehen und Feuer zu machen. Eine Birne, die im Winter, wenn das ganze Haus kalt wird, kalt wird und nicht so schnell auf Touren kommt. Warum sollte die alte Frau unter ihrer Wolldecke aufstehen, nur weil ein kleines Mädchen Angst vor der Dunkelheit hat? Ada steht vor der Schwelle, macht ihren Arm lang, drückt den Knopf und wartet, es vergehen Minuten, es vergehen Stunden, Ada starrt nächtelang in dieses Dunkel, hinter ihr das Licht, die scheinbare Sicherheit, umdrehen kann sie sich nicht, denn dann wäre hinter ihr der dunkle Flur. Dann endlich, Jahrhunderte später, geht das trübe Licht an, Ada rennt die Treppe hinunter, bleibt vor der Badezimmertürschwelle stehen, streckt den Arm aus und wartet erneut auf das Licht. »Das ist eine Neonröhre«, haben wir erklärt. Ada weiß nicht, was das ist, aber sie weiß, dass diese Lampe im Winter noch länger braucht, dass sie erst nach Jahrtausenden zu flackern anfängt und, was noch schlimmer ist, manchmal, wenn Ada gerade gemeint hat, dass jetzt alles gut ist, wenn sie im Hellen auf der Klobrille sitzt und nicht an die Schlange unter dem Badezimmerschrank zu denken versucht, genau dann geht manchmal das Licht von allein wieder aus. Darum bleibt Ada lieber in ihrem Bett. Sie weiß, was sich zwischen den Blitzen der

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