Land Spielen
heute extra früh und schnell versorgt, dann seine Familie verabschiedet und saß dann wartend auf der Treppe, wartend und zerknittert. Zerknittert wegen gestern Abend, wegen all dieser Abende in letzter Zeit, Abende mit wiederkehrenden Streitereien, sich ständig häufenden Streitereien.
Moritz hasst es, sich zu streiten, hasst sich, wenn er streitet. Weil er recht behalten muss, weil er erst verstehen muss, warum man überhaupt streitet, weil Vera es nie erklären kann, weil sie sagt, dass es nichts zu erklären gebe, und weil er, Moritz, sich dann festbeißt, bis man nicht mehr über Geld oder Öfen redet, sondern darüber, wie unfair es ist, hier einen Streit vom Zaun zu brechen. Und Moritz hasst streiten, weil er sich laut schimpfend leise fragt, ob er heute derjenige war, der angefangen hat, und ob er bloß taktiert, wenn er Vera den Anfang in die Schuhe schiebt.
Und weil Streitereien nie enden, sondern sich bloß verflüchtigen.
Dabei ist es doch gut hier. Dabei läuft es doch, wie es laufen sollte. Ja, der Ofen. Und ja, das Geld. Aber er, Moritz, kann nichts dafür, dass der zweite Schlaganfall des Gemeindeschreibers auf sich warten lässt, und würde man ihm, dem Zugezogenen, überhaupt die ganze Stelle anvertrauen? Moritz weiß, dass er ein Fremder ist, immer noch, wohl für immer. Dass er sich Zuspruch und Bewunderung gezielt suchen muss. Zuspruch und Bewunderung, die er findet bei Christine, von der er sich gerne besuchen lässt, mit der er gerne Zeit verbringt.
»Bist du eifersüchtig?«, fragt er Vera. Vera schweigt.
»Habe ich kein Recht, Freunde zu haben?«, fragt er Vera. Vera schweigt.
Es gibt keinen Grund für Eifersucht, denn da ist nichts, da ist allerhöchstens etwas, das nicht zählt, denn davon erzählt Moritz nichts. Es ist nichts Reales, bloß Gedachtes. Ist bloß die Freude an der neuen Nähe, ist bloß die Versuchung, die Nähe Stück um Stück zu verengen, ist das Spiel mit den richtigen Sätzen, die es zu sagen gilt, damit sein Gast lacht, sich freut, ihn bewundert, damit er wiederkommt. Nicht von jedem Treffen muss er seiner Frau erzählen, nicht von diesem Spaziergang. Unseren Moritz lässt er zu Hause auf der Treppe hocken, ein anderer geht hier grundlos und ungebunden neben dieser schönen Frau, die ihn nicht infrage stellt.
Die Hügelkette, über die sie gehen, umgibt das ganze Dorf, zu drei Seiten steigert sie sich später zum Bergmassiv, den Talausgang und das Nachbardorf sieht man nur von hier oben gut.
Ein Mann, eine Frau, bloß das, sie arbeiten sich am Waldrand hoch, lassen die Aussicht fürs Erste hinter sich, tauchen ein in den Wald, wo der Weg hinführt und ein letztes Mal ansteigt.
Ein Mann, eine Frau, beide unterdessen außer Atem, er atmet unterdrückter, will seine Anstrengung verbergen, sie sagt: »Jetzt kann ich dann nicht mehr.« Er lacht, sagt: »Es ist ja nicht mehr weit.«
Der Wald sieht aus wie immer, heute bekommt alles eine Bezeichnung, und die Bezeichnung lautet immer: »schön«.
Der schöne Weg, die schönen Bäume, schön, wie das Laub unter den Füßen raschelt, schön, wenn man ab und an einen Durchblick durch die schütter werdenden Äste erhaschen kann. Eine schöne Frau, ein schöner Mann, eine ganz schöne Strecke, aber schön, dass man bald oben ist.
Der Förster ist hier Herr der Gegend, aber auch andere Dörfler verirren sich hierher, der Nachbarsbauer besitzt Waldanteile, schlägt Holz. Er ist auch hier kurzzeitig Beobachter, sieht durchs Dickicht zwei Spaziergänger, die wohl keine Arbeit und offenbar nichts Besseres zu tun haben, dann wendet er sich wieder dem Baumstamm zu, der Brennholz für den Winter werden soll.
Ein Mann, eine Frau, deren Gespräch von einer fernen Motorsäge unterbrochen wird. Dann wird das Geräusch Schritt um Schritt leiser, aber die angefangenen Sätze werden dennoch nicht beendet.
Eine letzte Steigung, eine scharfe Kurve, der Wald ist mit einem Mal zu Ende und man steht oben auf der Hügelkuppe. Von oben sieht man das ganze Dorf, sieht hinüber bis zur Alp, auf der der Jugoslawe seine Sommer verbringt, von unten sähe man bloß Bäume, die zwei Menschen davor zeichneten sich kaum ab.
»Wow!« – Mehr Ausatmen als Ausruf.
»Ja, wow!« – Bloß ein Echo. Dann bricht das Reden wieder ab, denn nun ist man wirklich außer Atem, und als er wieder da wäre, findet keiner der beiden einen Anlass, die Worte wieder aufzunehmen. Über die Aussicht ist alles gesagt, sprachlos macht sie, oder sie ist ein guter
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