Land Spielen
schon lange denke, was sie da sage, und dass er es gut finde, dass sie sich umschauen wolle, das tue ihr be„stimmt gut und bestimmt lasse sich etwas finden. Und schon scheint er seinen einleitenden Vorschlag wieder vergessen zu haben und wir bleiben einen weiteren Abend unbesucht.
Bis Vera eines Nachmittags vor dem Dorfladen auf den Dorflehrer trifft, man grüßt und freut sich, viel zu lange habe man sich nicht mehr gesehen, sagt Vera, und Andreas bestätigt es. Vera fragt, ob er schon eingekauft habe. »Noch nicht«, sagt der Dorflehrer. »Dann lass mal«, sagt Vera, »esst doch heute Abend mit uns.«
Unseren halben Gemeindeschreiber holt Vera von der Arbeit ab, er wird vor vollendete Tatsachen gestellt und muss helfen, den Einkauf nach Hause zu tragen.
Die Kleineren freuen sich erst über das angekündigte ausgiebige Essen, verziehen dann die Gesichter, den Herrn Lehrer bekommen sie täglich zu Gesicht, sie würden Besserwissern anerkanntere Dorfbewohner vorziehen. Den Förster könne man ja einmal einladen, meint Ada, sicher nicht den Förster, raunzt Ralf, und Fabian erinnert uns lautstark daran, dass man Herrn Mirko schon vor Ewigkeiten ein Abendessen versprochen habe. Unsere Gastgeberin geht nicht auf Stänkerer ein, ernennt sie zu Helfern, teilt sie ein in Küchengehilfen, Tischdecker und Aus-dem-Weg-Geher. Moritz ist so still wie selten, schleicht um die Geschäftigen herum, hat nichts zu tun, außer den Wein zu öffnen, und hat keine Ausrede, woanders hinzumüssen. Auch er scheint sich nicht auf die Gäste zu freuen, obwohl er doch immer so gute Laune hatte, wenn Christine zu Besuch war.
Wir decken zwei unterschiedliche Tische, vier Gedecke für den Wohnzimmertisch, Servietten unter der Gabel, für erwachsene Esser, Jüngere müssen ihre Mahlzeit früher einnehmen und in der Küche, sie sollen nach oben gehen, wenn der Besuch kommt, sollen sich selbst beschäftigen, dürfen Lehrer und Lehrersfrau spielend ausweichen. Abendessen in der Küche hat heute also Vor- und Nachteile, die Kleineren sind froh, dass sie keine gute Miene zur langweiligen Runde machen müssen, fühlen sich aber dennoch herabgesetzt. Seit wann sind sie minderwertig, warum sind sie im Weg und vor allem: Warum dürfen sie trotz inständigen Drängens noch immer keinen Wein probieren?
Während Vera pro forma am Küchentisch sitzt, eine Scheibe Brot isst, und kleinere Esser mit großem Appetit Kartoffelpüree in sich hineinschaufeln, füttert Moritz die Schafe, lässt sich viel Zeit dabei, stellt sich dann auch noch unter die Dusche, um den Stallgeruch wieder abzuwaschen, lässt sich auch dabei mehr Zeit als sonst, bedächtig zieht er sich anschließend ein Hemd an, keins der groben mit den gestickten Blumen, das ihn wie einen Dörfler bei der Arbeit aussehen lassen soll und das er deswegen immer trägt bei der Arbeit. Das Hemd, das er jetzt anzieht, ist fein, ist gestreift, Moritz sieht verkleidet aus, sieht aus wie früher, als er noch Städter war. Wir schenken ihm einen Pfiff durch die Finger, als er in der Küche auftaucht, Vera macht es vor, Ralf pfeift am geschicktesten, Fabian schaut bei ihm die Fingerstellung ab und flucht, als es nicht auf Anhieb klappen will, Ada tut nur so, als gebe sie sich Mühe, das Pfeifen zu lernen. »Schick«, sagt Vera, Moritz macht eine entschuldigende Geste, für gewöhnlich nimmt er Komplimente selbstverständlicher an. »Dann muss ich mich wohl auch noch umziehen«, fügt Vera hinzu und delegiert die Rolle des Beisitzers bei unserem Abendmahl.
Am Küchentisch wird noch immer gegessen, Fabian spielt noch immer Sturm und Dammbruch in seinem Tellerstausee, Ada ist wie immer zu abgelenkt, um essen zu können, sie will wissen, warum Dorflehrer und Frau eigentlich keine richtige Familie seien wie wir, als der Dorflehrer und seine Frau in der Tür stehen.
Moritz steht vom Kindertisch auf, gibt dem Dorflehrer die Hand, nennt ihn beinahe förmlich Andreas, für Christine gibt es drei flüchtige Küsse auf die Wange, entschuldigend fügt er an, dass Vera gleich komme, sie sei noch oben. Andreas ist unterdessen längst am Küchentisch, wünscht den Frühessern fröhlich guten Appetit, sie schauen kurz auf, wissen wie immer nicht, ob gerade Duzen oder Siezen angesagt ist, lassen sich also nicht zu sehr ablenken vom Stochern im Kartoffelbrei. Moritz weiß nicht, ob er sie antreiben soll. Moritz sucht in seinem Wortschatz nach geeigneten Floskeln, findet nur: »Lange nicht gesehen!« Er vermeidet es, dabei
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