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Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Mezger
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unerfindlichen Gründen noch immer schlecht auf Ralf zu sprechen, also unterstützt sie Fa„bian, der jetzt schon ankündigt, er werde dann das Beil schwingen, wenn Hühnerköpfe fallen müssen. Ada, die ansonsten die Rolle der Zartbesaiteten spielt, doppelt nach, haut auf ihre Matratze, macht Karategeräusche, lacht und vergisst darüber, dass sie gerade Hühnerköpfen spielt. Ralf nennt das alles Kinderkram und will wie so oft in letzter Zeit lieber allein sein. Er verzieht sich in sein Zimmer, spricht Warnungen aus, er wolle nicht gestört werden, die Ausgeschlossenen kennen das schon zur Genüge, auch wenn sich Ralf ansonsten meist mit dem Försterjungen verzieht.
    Seit Ralf einen Freund hat, ist sein Leben noch anstrengender geworden. Gleich am ersten Tag nach dem Waldhüttenbesuch kam der erste Schreck, Ralf sagte dem Freund in der Schule freundlich »Hallo«, als man sich auf dem Pausenplatz begegnete, der Freund gab sich nicht als solcher zu erkennen, wandte sich anderen Mitschülern zu, bis der Lehrer zum Schulbeginn rief. Auf der Treppe zum Klassenzimmer versuchte es Ralf noch einmal: »Du hast doch immer noch die Comics von mir.« Der Försterssohn schaute Ralf verwirrt an. Ralf grübelte einen Vormittag lang herum, was er falsch gemacht haben könnte, und traute sich nach der Schule nicht, den Freundschaftsverleugner wieder zum Heftelesen einzuladen. Und er sagte noch verwirrter »Ja«, als er von diesem im Vorbeigehen leise gefragt wurde: »Sehen wir uns heute Nachmittag?«
    Nun fürchtet sich Ralf vor jeder Begegnung mit dem Schönsten des Dorfes. Kommt dieser an Nachmittagen trotz anderweitiger Signale dennoch vorbei, hat Ralf vor allem Angst, dass der Lehrer oder seine Frau bei uns zu Besuch sein könnten. Ralf will seinen neuen Freund nicht mit unseren Verbündeten konfrontieren. In der Schule sind die Fronten klar: Es gibt die Schüler, das sind die Guten, es gibt den Lehrer, das ist der Blöde. Innerhalb der Guten gibt es die Besseren und es gibt uns. Wir gehören zu den Schülern, aber nicht immer dazu, wollen auf keinen Fall zum Lehrer gehören. An gewissen Tagen vergessen die Kameraden die innenpolitischen Kämpfe, man gibt sich gemeinsamen Spielen hin, spielt gerne gegen den gemeinsamen Feind: Radiergummis klauen, den Staub auf dem Lehrerauto mit Schreibfehlern dekorieren.
    Besucht uns der Försterssohn, besucht er vor allem Ralf, die beiden verkriechen sich sofort im Zimmer. Wenn wir Ralf fragen, was sie da machen, sagt er: »Lesen«, wenn wir ihn fragen, ob er froh ist, einen Freund gefunden zu haben, sagt er: »Geht euch nichts an!«
    Aber heute haben nur die beiden Größten von uns Besuch, die beiden Kleinsten beginnen sich zu lan„weilen, horchen wieder nach unten, wo offenbar der Hauptgang abgetragen und eine Essenspause bis zum Nachtisch eingelegt wird.
    Moritz will Vera beim Abräumen helfen, diese wehrt ab, sagt: »Leiste lieber den Gästen Gesellschaft«, Andreas steht demonstrativ auf, sagt, er könne nicht zuschauen, wenn klassische Rollenmodelle exerziert würden. Moritz findet es nicht lustig, sagt, das sei hier keinesfalls so, er sei schließlich zur Hälfte Hausmann. Andreas lacht, sagt: »Jetzt bleibt doch, ich mach schon.« Moritz bleibt mit dem Vorwurf, ein Pascha zu sein, sitzen und mit Christine allein.
    Diese übertrifft heute Abend beinahe unsere Schweigerin im Wenigsagen, Moritz hat während des Essens und seiner albernen Reden übers eigenhändige Köpfen von Federgetier immer wieder ihren Blick gesucht, überprüfend, ob er mit seinen Pointen auch einen Lacher ernte, hoffend auf ein geheimes Zeichen der Verbündung. Christine hat gelacht, kam aber ansonsten nicht aus der Deckung heraus, und auch jetzt, wo sie mit ihrem Mitspaziergänger allein ist, benimmt sie sich, als wäre man sich fremder, als man ist. Moritz brennt ein Satz auf der Zunge, der sie an Gemeinsames erinnert, bleibt aber stumm. Er schenkt Wein nach, es ist bereits die zweite Flasche, und auch sie ist nun leer, der Durst ist heute groß.
    Fabian und Ada spielen ein Stockwerk höher wieder einmal Indianer, das Ohr am Boden behauptet Ada Hasenherz, einen Zug zu hören, der Büffeltöter legt seinen Finger auf die Lippen, wundert sich, dass es unten plötzlich so still ist. Dann ist deutlich ein leises »Scheiße« zu vernehmen, zwischen den Zähnen ausgestoßen von einem, der ansonsten Fluchen verbietet. Fabian ärgert sich, dass gewisse Regeln nicht für alle von uns zu gelten scheinen, verpasst

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