Land Spielen
auf Muntermacher verzichten, ist auch ohne Koffein aufgeregt genug. »Ich muss mit dir reden«, sagt sie und spricht dann dennoch nicht weiter. Unser Redner will gerade wieder in seine frühere Rolle als Tröster verfallen, seine Hand kommt fürsorglich auf dem Dorflehrerinnenoberarm zu liegen, die Oberarminhaberin zuckt kaum merklich zusammen, Moritz merkt es, fragt aufmunternd, was denn sei, obwohl er es längst weiß. Christines Antwort bleibt selbstredend aus, stattdessen drängt Christines Körper zu seinem, Christines Lippen pressen sich auf seine, Christine führt ihre freie Hand zu seinem Hinterkopf, damit er ihr nicht entkommt. Doch Moritz’ Kopf und Mund haben anderes zu tun, als sich Fluchtpläne auszudenken, Moritz muss diesen Mund spüren, diese Lippen, die Zunge, die sich ihren Weg zu seiner Zunge bahnt. Doch bevor sich Moritz ganz von der Überraschung erholt und sich auf diesen Kuss einlassen kann, ist er schon wieder beendet.
Christine dreht sich ab. »Doch, ich glaub, ein Kaffee wäre doch nicht schlecht.«
Jetzt ist es Moritz, der sich nicht für Kaffee interessiert, zu lange lag dieser Kuss in der Luft und viel zu kurz ist er ausgefallen. Nachdenken, Kaffeetrinken, Nachbe„sprechen, das kommt noch früh genug, er tritt von hinten an Christine heran, doch sie meint es ernst, kann erst weiterküssen, wenn das Nötigste gesagt ist.
Das Nötigste scheint zu sein: Der ist lauwarm. – Ich kann nicht wegziehen. – Andreas und ich, das ist, nein, sprechen wir nicht von Andreas. – Es tut mir leid. – Habt ihr wenigstens Zucker? – Ich habe mich am ersten Tag schon in dich verliebt. – Aber das weißt du längst. – Es tut mir so leid. – Wenn jemand hier weggeht, dann sollten das du und ich sein! – Ich meine es ernst, lass uns von hier weggehen.
Moritz, der bis zum zweiten »Tut mir leid« noch mit hilflosem Gesicht Zeit und einen weiteren Kuss schinden wollte, steht nun tatsächlich baff und überfordert da.
Seine Antworten könnten wahlweise sein: Es tut mir leid. (Kaffee) – Ich weiß. (Verliebtsein) – Mir auch. (Leidtun) Oder: Ich weiß. (Kaffee) – Es tut mir leid. (Ver„liebtsein) – Es geht nicht. (Gehen.) Oder: Warum musst du alles verderben, indem du es aussprichst, weißt du nicht, dass es erst stattfindet oder stattgefunden hat, wenn es auch formuliert ist, bis jetzt konnte ich gut damit leben, Ungesagtes lässt sich unumständlicher beiseiteschieben, ist dir nicht klar, dass wir all dem Angedeuteten jetzt nicht mehr ausweichen können?
Aber natürlich sagt er nichts.
Er tunkt den Finger ins lauwarme Getränk.
Er malt braune Kreise auf den braunen Tisch.
Und wäre es ein Film, dann müsste jetzt die Abblende kommen, denn jedes weitere Wort ist eins zu viel, das weiß auch Christine, und dennoch muss sie jetzt weiterreden. So einfach kann sie nicht aufgeben, sie hat sich die Sache viel zu lange ausgemalt, hat sich auch ihre Überzeugungsrede vorgestellt, sie mag durch den missglückten Kuss schlecht eingeleitet sein, ist dennoch wohlvorbereitet. »Du hast recht«, steigt sie rhetorisch geschickt ein, »ja, du hast recht, eine Affäre wäre unmöglich, ich habe darüber nachgedacht und es stimmt, was du bei unserem Spaziergang gesagt hast, hier, das geht nicht. Aber woanders, das geht. Das muss. Wir müssen es tun. Hier verschwinden, zusammen weg, du spürst es doch auch, das spüre ich, dass da etwas Großes ist.« Sagt Christine. Und Moritz starrt weiter auf seine Kaffeeringe, und weil das kein Film ist, wird daraus dennoch keine Nahaufnahme, es kommt kein Schnitt, Moritz muss hier stehen bleiben, muss irgendwann selbst etwas sagen. Er hört Christine weiter zu, hört bloß: Die meint es wirklich ernst! »Es ist mir ernst«, sagt Christine, »und ich weiß, es klingt krass, für mich auch, für mich ist es auch krass. Aber du bist doch ein freidenkender Mensch, zusammen können wir das schaffen. Du bist ja auch unglücklich hier. Oder warum hättest du dich sonst auf das Ganze eingelassen?!«
Christine sieht die Dinge, sieht Moritz, der die Schultern hängen lässt, sie nicht anzuschauen wagt. Und weil er nichts sagt, noch immer nichts sagt, wird Christine lauter: »Natürlich müssen wir nicht heute gehen, man muss es natürlich vorbereiten, Vera wird es verstehen, sie und die Kinder, ihnen geht es gut hier, aber wir beide, das muss man doch ernst nehmen.« Moritz schweigt und Christine wird noch drängender, noch lauter, ihre Rede wird zum letzten Flügelschlagen
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