Land Spielen
Stelle hergezogen und weil seine damals frisch Angetraute in der Gegend aufgewachsen ist. Gegen Natur und frische Luft hat er nichts einzuwenden, aber Tiere braucht er keine eigenen, die Bauernarbeit überlässt er gerne den Bauern. Die Bauernkinder versucht er vorzubereiten auf die Welt da draußen, die heutzutage vor allem außerhalb des Dorfs stattfindet und die selten etwas mit Bauern zu tun hat. Und auch wenn der Dorflehrer nicht mehr so jung ist wie die Jugend, die abwandert, so ist er doch noch jung genug, um einen Schnitt zu machen und woanders nochmals neu anzufangen. Das mit den eigenen Kindern hat hier ja nicht klappen wollen, vielleicht ist man woanders entspannter, vielleicht geht es Christine in der Stadt besser, vielleicht kann sie ein wenig Abstand gewinnen. Nicht zuletzt von sich. Wie gesagt, er sei jetzt noch jung genug, um einen Schnitt zu machen. Aber das müsse er uns ja nicht sagen, sagt der Dorflehrer. »Du hättest etwas sagen können!«, kommt nun endlich wieder Christine zu Wort. Sie kann noch immer nicht fassen, dass ihr Ehemann seine Gedanken lieber mit anderen als erst mal mit ihr teilt. Sie ist nicht vorbereitet, hat keine Argumente parat. »Was sollen wir denn in der Stadt?«, fragt sie, aber diese Frage wurde längst beantwortet.
Fabian, der vom Versuch, die Rede des Dorflehrers zu verstehen, von Ada abgelenkt wurde, die Seltsames vom Försterjungen und von Ralf erzählen musste, bringt seine Schwester mit einem »Das ist doch alles ein Scheiß!« zum Schweigen und sagt dann: »Hast du gehört? Wir müssen nicht mehr in die Schule.«
Ada geht gerne in die Schule, es ist ihre einzige Möglichkeit, ihrem Geliebten nahe zu sein, der in unserem Haus ja dann doch bloß die Nähe zu Ralf sucht. Ada versteht nicht, was gut daran sein soll, wenn man nicht mehr in die Schule muss. Und Ada weiß nicht, woher Fabian das auf einmal wissen will, also schimpft sie ihn kurzerhand einen Lügner, Fabian entgegnet: »Das sagt gerade die Richtige!« Und schon sind die beiden mitten in einem Streit, der mit Geschrei anfängt, in der mittleren Phase wird die kleine Schwester vom größeren Bruder gekniffen, weil sie nicht so schreien soll, Kneifen ist verboten, und weil niemand eingreift, endet die Auseinandersetzung im Wohnzimmer, wo die Erwachsenen sich nicht für langfädige Erklärungen von Kindern interessieren. Moritz stoppt die beiden mit einem knappen »Warum seid ihr noch auf?!«
Es ist das Erste, das er seit langem sagt, sprachlos hat er dem Dorflehrer zugehört, hat zwischendurch verblüfft Christine angestarrt, nun ist er froh, dass er einer Stellungnahme im Diskurs Dorf versus Hauptort entkommt, er steht auf: »Ich bringe euch jetzt ins Bett!«
Als er nach ausgedehnter Gute-Nacht-Prozedur wieder nach unten kommt, beschließen die Gäste gerade den Aufbruch, scheinen die Auseinandersetzung unter vier Augen weiterführen zu wollen. Man bedankt sich wahlweise für das gute Essen oder das Kommen. Dann sind die Eindringlinge weg und Moritz findet langsam seine Redekunst wieder. Mit dem Geschirrtuch in der Hand erörtert er, dass die Dorfschule geschlossen werde, wenn der Dorflehrer tatsächlich gehe, dass sie dann mit der des Nachbarorts zusammengelegt werde, dass unser Dorf dadurch zum bloßen Anhängsel des Nachbarorts verkomme, von der verlorenen Identität kleiner Orte spricht Moritz und davon, dass die Dorfmenschen sich dagegen wehren sollten. Ob er die Beweggründe des Dorflehrers versteht oder nicht und ob er seine ehemals tägliche Besucherin vermissen wird, geht in seinen wortreichen Erörterungen wohlweislich unter.
*
In den nächsten Tagen steht das rote Mofa vor der Scheune, die Frau des Dorflehrers, der nicht mehr Dorflehrer sein will, weiß die Zeichen zu deuten: Rot bedeutet, dass unser männlicher Arbeitsteiler als halber Gemeindeschreiber bei seiner Hälfte der Erwerbsarbeit ist. Auf Stricktipps kann Christine derzeit verzichten, sie passt den Moment ab, als unsere Mofafahrerin im Nachbarort ist, da, wo die Kleineren von uns, die trotz anderweitiger Informationen auch heute in die Schule mussten, auch bald täglich sein werden.
Das Mofa ist weg. Auch nach mehreren Tagen Bedenkzeit ist Christine noch immer aufgebracht, sie klopft kurz an unsere Tür. Moritz öffnet, sieht die verloren wirkende Gestalt auf der Schwelle stehen, bittet sie herein, bietet Kaffee an, der noch vom Frühstück auf dem Tisch steht. Christine interessiert sich nicht für lauwarme Getränke, sie kann
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