Land Spielen
eines ertrinkenden Vogels, sie spricht davon, dass man gemeinsam neu anfangen könne. In der Stadt vielleicht. Vielleicht im Ausland. Sie halte es nicht mehr aus hier. Dann endlich macht sie eine Pause.
Eine Abblende müsste her, denkt Moritz. Irgendetwas, das ihn und sie aus dieser peinlichen Situation bringt.
Christine schweigt, betrachtet Moritz, er sagt noch immer nichts. Sie schiebt leise nach: »Oder war das alles nur Spiel? – Hast du mich gar nicht gemeint?«
Moritz schweigt, wiegt den Kopf hin und her, will diese seltsame Frage, die er nicht wirklich versteht, nicht wirklich verstehen. »Natürlich habe ich dich …«, setzt er an, »aber es … ich …«
Mehr sagt er nicht. Er steht wieder hilflos herum. Und weil sie nicht geht, geht eben er.
Er schleicht sich aus der Küche, geht nach draußen, geht in Richtung Scheune.
Geht die Tiere füttern.
Irgendwann wird sie das Haus schon verlassen.
Abblende.
*
Wir wollen wir sein, wollen wir bleiben, sind nicht aufs Land gezogen, um uns auseinander-, sondern um uns zusammenzuleben. Wir sind wir. Wir sind fünf. Wir sind uns genug. Wir brauchen keine Fremdlinge, keine Eindringlinge. Brauchen auch keine Erweiterung und keinen Zuwachs. Schon gar nicht um eine halbe Person. Die es noch nicht gibt. Aber geben wird.
Wir brauchen außerdem auch keine Freunde von früher, erinnern uns nicht gerne an die Stadt, aber heute werden wir erinnert, ein Auto fährt vor, ein Freund steigt aus. Der Freund hat am Morgen angerufen, sagte, er sei in ein paar Stunden da. Jetzt schlägt der Freund die Autotür zu, grinst in die Runde, sagt, er habe gedacht, wir seien Freunde. »Und dann hört man nichts mehr von euch, kennt ihr mich noch?« Wir kennen ihn, kennen auch das Auto, haben damals nach unserer Ankunft mit langen Holzlatten Kratzer in den Lack geritzt, bevor wir die Latten an unsere Wände nagelten. Die Kratzer sind längst von der Autooberfläche verschwunden, die Holzwände sind längst verziert mit Buntstiftzeichnungen. Oft hängen sie eingezwängt ins DIN-A4--Format über den Betten und noch öfter haben die Zeichner auf die Einschränkungen eines Blatts verzichtet, das Holz ist weich, mit den harten Buntstiftminen gräbt und malt man in einem, geschwungene Schriftzüge unterzeichnen Selbstporträts. Werden sie entdeckt, müssen Schelten angehört werden, unsere Vorrechner rechnen vor, was eine neue Täfelung kostet. »Und wer soll die Bretter hierhertragen?«
Aber wir fragen den Freund nicht, ob er wieder Holzplattentransporteur sein mag, denn unsere Erwachsenen belassen und vergessen die Zeichnungen, wo und wie sie sind. Ungesehen ziehen die Jüngeren von uns die Furchen mit Nachdruck nach, kommen Windungen und Rundungen auf die Spur, entdecken die Stellen, an denen ein Jahresring als Maserung eine eigene Vorstellung von Linienführung hatte. Senkrechte Ab- und Aufwärtsstriche scheint das Holz zu bevorzugen, wer auf Täfelung zeichnet, muss mit der Forderung nach Linientreue rechnen. Der Autofreund stattet einen Galeriebesuch ab, zieht die Augenbraue hoch. Entdeckt er unsere Miniaturen auf dem nackten Holz, nennt er diese Gekritzel, steht er in unseren Zimmern, sagt er: »Dass ihr so leben könnt!«
Ja, eigentlich würden auch wir Leinwände, Ölfarben und vom Schlafzimmer abgetrennte Ateliers bevorzugen, würden gerne von der Höhlenmalerei zu höheren Evolutionsstufen übergehen, aber diese Gedanken vergehen, wenn wir unser früheres Leben bedenken. Der Rückschritt war selbstgewählt und ist es noch, nur Autofahrer scheinen das nicht verstehen zu können. Sie würden ihre Kinder hier nie malen lassen. Sie würden auch ihren Fünftürer niemals gegen einen roten, dreißig Stundenkilometer schnellen Einsitzer tauschen wollen, sie verstehen nichts vom Wind, der einem um die Ohren weht, wenn man im Leerlauf hügelabwärts fährt. Sie wissen nicht, dass man dann singen muss, für einen selbst klingt es leise, für Vorbeigehende laut. Bis der Motor von allein anspringt, dem Gesang sein Geknatter hinzufügt. Dieses ist rhythmisch, ist übertönend, ist gefährlich, denn der Motor bremst die Fahrt, schneller als dreißig kann er nicht, darf er nicht.
Ja, hier haben wir alles, was wir brauchen. Bloß der Autofreund bräuchte mehr. Er bückt sich unter Türrahmen durch, dreht sich in winzigen Kinder- und Erwachsenenzimmern um die eigene Achse, sagt, dass man sich hier ja nicht einmal um die eigene Achse drehen könne, ohne an die nächste Wand zu stoßen. Er kennt
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