Land Spielen
Häuser wie dieses, nennt sie Hütten oder im besten Falle Ferienhäuschen, dachte anfangs, dass wir uns nur zu Urlauben in diese Abgelegenheit zurückziehen wollten. Dafür hätte er Verständnis gehabt, er kennt das Land, ist gerne da, spaziert mit Schneeschuhen über Hügel und Pässe, kennt die Hütten und Berghotels, weiß, wo es die besten Käse- und die erlesensten Wurstplatten gibt. Und dazu ein Brot, das man in der Stadt suchen müsste. Und dann die sprichwörtliche Prise Landluft. Eine Prise, sagt der Autogast. Aber das hier sei mehr als eine Prise, das hier sei zu viel des Guten.
Wir verstehen nicht, wissen nichts einzuwenden gegen diese Luft hier, an die man sich gewöhnen könnte, wie wir anfangs dachten, und an die wir uns längst gewöhnt haben.
Wir gehen wieder nach unten. Moritz führt die Gruppe an. Nein, wir wollen keine Kritik hören, brauchen keine Besucher, die es besser wissen, haben auf Zuspruch gewartet, uns Bewunderung erhofft. Waren sicher, dass wir Nachahmer finden würden, denen wir grinsend hätten sagen können, dass wir zuerst auf die Idee gekommen seien, um dann generös die wichtigsten Eckpunkte des Landlebens zu erläutern.
Ja, wir haben uns gefreut auf diesen Besuch, wollten vorschwärmen von unserem neuen Leben, das wir nie mehr gegen ein altes tauschen wollen. Wir wollten Führungen machen, durchs Haus und Richtung Scheune. Wollten die Hecke entlangwandeln, nach seltenen Zweigen greifen, die sich hinter häufigeren Zweigen verstecken. Wir hätten ein Blatt abgerissen, es zwischen den Fingern zerrieben, daran gerochen, hätten dem Städter erklärt, warum wir stolz sind, dass genau dieser Strauch in dieser Hecke wächst. Der Städter hätte gestaunt, hätte verstanden, hätte gesagt: »Ihr kennt euch aber schon gut aus!« Und dann hätte er gefragt, warum die Hecke nicht weiter östlich stehe, bis zum angrenzenden Feld sei ja offensichtlich noch Platz, ob diese zwei Meter noch so ein Projekt seien, ob wir statt einer Hecke eigentlich ein kleines Wäldchen planten. Und wir hätten ihm den Zweimeterstreifen erklärt und der Frager hätte gelacht über unsere Antwort, auch über unsere Nachbarn, über die Dörfler, die uns nicht verstehen. Und dann hätte er gefragt, ob in der Gegend nicht noch so ein Haus und noch so ein Grundstück zu erwerben seien, er sei interessiert. Er hätte uns Pioniere genannt und nun endlich die Scheune sehen wollen. Auf dem Weg wäre er neben den Hühnern stehen geblieben, hätte von frischen Eiern geschwärmt, plötzlich innegehalten und gesagt: »Mal ehrlich: Was will ich in der Stadt?« Wir hätten keine Antwort gegeben, hätten bloß die Augen zusammengekniffen, hätten in die Ferne geschaut und uns von der Sonne blenden lassen, hätten die Hände nicht aus den Hosentaschen genommen und gewartet, bis sich der Infragesteller selbst eine Antwort gegeben hätte. Bis er bekräftigt hätte: »Sobald hier in der Gegend etwas zu haben ist, kommen wir auch!«
Dann wären wir in die Scheune gegangen, hätten vom Dorf geredet und davon, wie es sich dank unserer und seiner Anwesenheit bald verändern würde, wie sich enge Stirnen verbreitern und wie sich Vorbehalte im Stumpenrauch auflösen würden. »Und Rebekka und Thomas erwarten ihr Zweites, die kommen auch«, hätte der Autofahrer, der Städter, der Besucher, der Schwärmer, der Freund gesagt, und wir hätten wissend und schmunzelnd genickt und gesagt: »Und hier: die Schafe.«
»Rebekka und Thomas erwarten ihr Zweites. Sie ziehen gerade in eine Eigentumswohnung«, sagt der Städter, der Skeptiker geblieben ist. Wir halten ihn für einen Nörgler, interessieren uns weder für Rebekka noch für Thomas noch für deren Nachwuchs, haben hier Eigenes großzuziehen. Sollen die ganzen Rebekkas und Thomasse doch in der Stadt bleiben, sollen sie mit schicken Kinderwagen über schicke Kinderspielplätze spazieren, sollen sie darüber diskutieren, welcher Kindergarten das Optimum aus ihrem Kind herausholt, sollen sie am Kinderspielplatzrand in großen Milchkaffees rühren und überlegen, ob sie auch alles Wichtige in ihre Kinder hineingesteckt haben. Sollen sie über ihre praktischen Kinderwagenacces„soires beraten und die neusten Kinderturnschühchen bewundern. Nichts von alledem wird sie darüber hinwegtäuschen können, dass sie sich das Leben nicht so vorgestellt haben. Nichts wird sie davon ablenken, dass sie in öden Berufen und langweiligen Cafés ihr Leben verdämmern, dass sie nie wussten, was sie
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