Land Spielen
mit umgebundenem Handtuch die Treppe hochgehen will und dabei beinahe über Ada stolpert, die hier sitzt und auf ihn wartet, kann sie ihm ihre Frage stellen: »Darf Fabian jetzt nicht mehr nach Hause kommen?«
Ada will hören: Ja, so einer, der deine Liebe zerschlägt mit Fausthieben, der hat es eben nicht verdient, eine Familie zu haben. Sie hört: »Wieso? Ist er noch nicht hier?«
Ada schüttelt den Kopf, Moritz flucht. Ja, Ada versteht, dass man sich über so einen Sohn nur ärgern kann, und vergisst zu sagen: Das sagt man nicht.
Moritz geht ins Wohnzimmer, greift sich das Telefon, die Nummer kann er auswendig. Christine geht ran, Moritz raunzt sie an, ob Fabians Strafe für heute nicht zufälligerweise langsam abgesessen sei. »Oder habt ihr ihn gleich noch im Keller eingesperrt?«
Christine versteht nicht: »Fabian? Andreas hat ihn schon längst nach Hause geschickt!«
Moritz bleibt neben dem Telefon stehen, Ada, die ihm nachgeschlichen ist, fragt, wann es denn Abendessen gebe. »Ja, bald«, sagt Moritz und ruft nach Ralf. Obwohl das Haus klein und Moritz’ Stimme laut ist, lässt sich Ralf nicht aufscheuchen. Erst als Moritz in seinem Zimmer steht und nach Fabian fragt, antwortet Ralf launig, dass er keine Ahnung habe.
»Wo kann er sein?«
»Weiß ich doch nicht. Machst du bitte die Tür zu.«
Moritz lässt seinen comiclesenden Sohn in Ruhe. Seit wann ist der so? Geht schon das mit der Pubertät los? Er hat keine Ahnung von seinen Kindern, denkt Moritz auf einmal. Wahrscheinlich hat Vera recht, es geht ihm immer nur um sich selbst, er hat alle aus den Augen verloren, hat den Verdacht seiner Frau verpasst, verliert bereits sein erstes Kind an die Pubertät, ohne darauf vorbereitet zu sein. Und Fabian ist gewalttätig und außerdem verschwunden. Und er, Moritz, hat keine Ahnung, wo er, Fabian, sich rumtreiben könnte. Moritz steht im Flur, wäre jetzt selbst lieber ein Kind, hätte gerne jemanden, der ihm die Hand auf die Schulter legt und erklärt, was jetzt zu tun ist.
Viel zu langsam zieht er sich an, hier die Hose, da das Hemd, dann steht er wieder in Ralfs Tür, bestellt ihn ins Wohnzimmer, auch Ada wird zur Krisensitzung eingeladen, die beiden scheinen ihren Bruder nicht sonderlich zu vermissen, zucken bloß kollektiv mit den Schultern und haben keine Idee betreffend Aufenthaltsort auf Lager. Draußen dämmert es längst, wieder fällt die Frage nach dem Abendessen. »Ja, bald.« Moritz zieht die Schuhe an und verlässt das Haus.
Er joggt erst zum Dorfbach, steht auf der Brücke, schaut bachauf- und bachabwärts, dann eilt er zum Waldrand, ihm fällt keine Stelle ein, die man sich genauer anschauen könnte, also zurück ins Dorf, seine Suche führt an der Milchzentrale vorbei, am Hirschen, Moritz schaut durchs Fenster, leer sieht es aus heute, also zurück in Richtung Haus, joggend, nicht zu schnell, um den Atem für mögliche Umwege und Geistesblitze zu sparen. Soll er die Polizei anrufen? Beim Haus des Försters kommt er zu stehen, er kann hier nicht klopfen, außerdem, genau, Donnerstag, deshalb ist der Hirschen leer: Feuerwehrübung. Also zurück zum Gemeindehaus, auf dem Platz stehen die Männer, schauen anderen Männern zu, wie sie mit zackigen Bewegungen Schläuche ausrollen, der Feuerwehrhauptmann und Förster gibt Anweisungen, man lacht. Kein kleiner Junge in Sicht, der die Szenerie mit glänzenden Augen beobachtet. Bestimmt ist er unterdessen längst zu Hause. Der Gemeindemann entdeckt den Abendsportler, ruft ihm zu: »Na, kommst du dich bewerben?!«
»Wir nehmen also nicht jeden«, kommentiert ein anderer unterbeschäftigter Feuerwehrspieler, die Männer lachen, Moritz zwingt sich ein Lächeln auf die Lippen, winkt ab und rennt weiter. Er findet seinen Sohn auch allein, er kann auf Spötter verzichten. Er rennt, er schwitzt, er denkt sich Schimpftiraden aus, mit denen er den Ausreißer zu Hause in die Schranken weisen wird.
Im Haus warten aber bloß zwei Kinder auf ihn, die vorher auch schon da waren und die sich immer noch mehr für Abendessen als für ihren Bruder zu interessieren scheinen. Dann klingelt das Telefon, Moritz nimmt Ralf den Apparat aus der Hand: »Ja?!«
»Ist Fabian wieder da?«
Es ist Christine, die fragt. Christine, die sagt, sie sei gerade im Klassenzimmer gewesen. Sie habe auf Fabians Pult ein Indiz gesucht, habe Fabians Heft gefunden. Statt Strafaufgaben habe da ein Satz gestanden, nicht nur einmal, sondern wiederholt. Seitenlang.
*
Fabians Weg wird
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