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Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Mezger
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geschlossene Lippen atmen, Vera zieht die Gabel hinter sich her, blind, weil geblendet, rempelt sie Moritz an, er erschrickt, verliert dabei seine Schaufelladung. »Was für ein Scheiß«, murmelt er. Vera muss grinsen, muss plötzlich kichern, das Kichern wird Lachen, das Lachen dauert an, sie scheint sich nicht mehr erholen zu können. Moritz betrachtet sie erst befremdet und lässt sich dann anstecken.
    Nun spielen wir Schimpfen, üben uns in Flüchen. Selbstredend sind es Fäkalien, von denen wir sprechen. »Schafsmist«, sagt Vera, »Hühnerkacke«, ruft Moritz. »Das stinkt zum Himmel«, ist ein magerer nächster Versuch. Sie lachen trotzdem über sich, kalauern weiter, während sie den Kotberg abtragen, erweitern das Fluch- und Schimpfspektrum, die Vorsilbe bleibt mit Vorliebe »Scheiß-«. Dazu passt »-arbeit«, »-tag«, »-leben«. Lachend wettern sie über »Kackdreck«, über »Misthühner«, über »Scheißdörfler«.
    Dann folgen:
    - »Scheißhaus«
    - »Scheißlandleben«
    - »Scheißidee, hierherzuziehen.«
    Dann folgt:
    Schweigen.
    »Scheißaffäre«, sagt Vera. Sagt es leise, sagt es bestimmt, bestimmt lag es ihr schon viel zu lange auf der Zunge.
    Das Seltsame an lange aufgeschobenen Gesprächen und lange angestauten Sätzen ist, wie verknappt sie ausfallen, wenn sie dann doch noch stattfinden. Alles Wichtige scheint längst gesagt, denn es wurde längst gedacht, wurde zurechtgelegt, wieder verworfen, redigiert, die Schlagwörter wurden herausgearbeitet, und dann, wenn sie endlich ausgesprochen werden dürfen, werden sie doch nicht ausgesprochen. Als beziehe man sich auf geführte und nicht bloß gedachte Diskussionen, sagt die eine: »Es geht so nicht weiter«, streitet der andere ab, je eine Affäre gehabt zu haben, wirkt die Erste müde, wenn sie sagt, sie wisse doch längst, was laufe.
    Keine Ohrfeigen, kein Geschrei, keine Szene. Statt der bereitgelegten Sätze nur Ansätze vom Angedachten: »Es ist auch egal, es geht nicht um irgendwelche Affären, wir haben uns doch schon lange auseinandergelebt, ich habe es satt, ich muss mir etwas überlegen.« Sagt Vera. Sie stochert dabei mit der Gabel in der Streu, kratzt mit den Zinken über den Boden, bis Moritz sagt, sie solle damit aufhören. Er meint das Kratzen, er meint die Anschuldigung, er setzt an zu Verteidigungsreden, die ebenfalls schon lange bereitliegen, denn er hat nichts falsch gemacht, hat nichts gemacht, für Unausgelebtes kann doch niemand bestraft werden. Denkt Moritz. Und auch von seinen Reden bleiben nur Fragmente. Vera hat längst gewonnen: Ob er nun mit Christine geschlafen hat oder nicht, spielt keine Rolle mehr in ihrer Argumentationskette, deren einzelne Glieder sie bloß skizziert (»Es geht nicht um Sex«, sagt sie, »uns bist du untreu.«), bis Moritz fragt, ob sie gerade von Trennung spreche und Vera antwortet, dass sie es nicht wisse.
    Reden wir eben über Liebe. Reden wir darüber, wo sie noch ist und ob es überhaupt eine Rolle spielt. Reden wir darüber, dass es doch nicht um Liebe geht, sondern um alles. Aber auch diese Sätze sind Rohrkrepierer. Und während Moritz noch bereut, Veras halb geflüsterten Fluch nicht einfach überhört zu haben, fragt Vera: »Wollen wir das wirklich durchziehen?«
    Sie meint das Land, meint, vielleicht solle man einfach auf den Freund mit dem Auto hören, das Haus verkaufen, in die Stadt ziehen, die Doppelhaushälfte wäre bestimmt noch zu haben, von vorne anfangen, schon wieder, immer von vorne anfangen, immer weiter und weiter und das gleiche Spiel unter anderen Voraussetzungen wieder und wieder. Und jetzt weint Vera und Moritz’ Gesicht gefriert.
    »Was hast du eigentlich, die ziehen doch selbst weg?!«, sagt Moritz und spricht nicht aus, wer »die« sind.
    Und natürlich sollte Vera jetzt antworten, dass es immer eine wie »die« geben werde, Anjas, Manuelas, Erikas, neue Gelegenheiten und Abenteuer, aber des„wegen sei man doch nicht hergekommen. Übrig bleibt: »Ich dachte, wir kommen her, damit wir für uns sein können.«
    Dann muss Vera gehen, zur Arbeit, vorher noch duschen, es ist schon viel zu spät. »Wie soll denn das hier weitergehen?«, ist der Satz, mit dem sie ihren Abgang unterstreicht, und Moritz rammt seine Schaufel in den Hühnermist, als wolle er weiterarbeiten, sagt irgendetwas über Geld, das eh nicht reichen werde für eine Doppelhaushälfte, dass der Verkauf von Haus und Hof ja doch nichts einbringe. Und jetzt muss auch Vera vom Thema abkommen, muss sagen,

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