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Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Mezger
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dass man sowieso mehr Geld aufnehmen müsse, von allein gäbe es keinen neuen Ofen, »Oder wie hast du dir das vorgestellt?« Und weil man nicht über Liebe reden kann, streitet man eben über kalte Winter, die man nicht erleben will, über Pläne, die nie umgesetzt werden, über Geld, das fehlt, und über all die Banalitäten, um die es jetzt nicht gehen sollte.
    Und statt auf den Punkt zu kommen, wird der Eklat einmal mehr verschoben. Auf morgen. Und: »Du musst noch beim Förster vorbeigehen, nimm Fabian mit, er soll sich etwas zur Entschuldigung ausdenken.«
    Dann fährt Vera zur Arbeit, auf dem roten Mofa gibt es heute nichts zu singen, ihre nassen Haare werden vom Helm platt gedrückt, sie wird ihre Frisur heute nicht erklären und auch nicht ihr Zuspätkommen zur Spätschicht.
    *
    Fabian träumt Waisenträume. Fabian ist nicht Fabian, er hat noch nie so geheißen, er hat keinen Namen, ist niemandes Sohn. Nicht-Fabian kommt am kleinen Kraftwerk vorbei, wo die Kühe unter Hochspannungsleitungen in Unordnung stehen, sein Weg führt unter Zäunen durch und über die Wiese. Nicht-Fabian ist eigentlich Indianer, nur zufällig hat es ihn hier in die Gegend verschlagen, er hat niemanden auf der Welt, weil er niemanden braucht. Die Brücke über den Dorfbach wäre ein Umweg, also klettert der Einsame über Steine, rutscht beinahe ab, aber Helden wie er wissen, wie man nasse Füße vermeidet. An einem Ast findet er Halt, er zieht sich die Böschung hoch, auf der anderen Seite folgt Wiese, dann irgendwann der Kiesweg, der ihn zu seinem neuen Leben führt. Hier geht es stetig aufwärts, oben wartet sein einziger Freund, oben wartet seine neue Heimat, die Jugoslawien heißt.

Der namenlose Junge hat die kurze Zeit bei der Gastfamilie genossen, das Bett war weich, das Essen warm, die hübsche Tochter machte hübsche Augen. Aber es kommt immer der Tag, an dem man weiterziehen muss, neue Abenteuer locken, er wird anheuern auf einem großen Frachter, wird Schiffsjunge, gerne schrubbt er das Deck, noch lieber klettert er abends in den Ausguck, um nach Sternschnuppen Ausschau zu halten.
    Waisenjunge Nicht-Fabian geht und träumt, er schaut nicht auf Aussichten, betrachtet den Kies, der unter seinen Füßen vorbeizieht. Hält man den Blick starr, zerfließt er zu unscharfen, grauen Striemen, die Füße setzen ihren Weg wie von selbst fort. Atem, Schritte und Herzklopfen bilden einen komplexen Rhythmus, der sich immer deutlicher manifestiert, der das Hirn ausfüllt, der Gedanken an Frachter, an die fremde Familie und an ihn selbst, Nicht-Fabian, verdrängt.
    Nicht einmal Nicht-Fabian ist er mehr, er ist nur noch Einatmen, Puls, Schritt, Puls, Ausatmen, Puls, Schritt. Bis der Trick mit dem Schielen auf den Weg nicht mehr funktioniert, weil die Sonne hinter den Hügeln verschwindet und den Waisenjungen ohne flirrende Reflexionen zurücklässt.
    Es wird kühler, es wird realer, Nicht-Fabian schaut, wie weit er schon gekommen ist, fühlt sich viel fabianhafter, als ihm lieb ist, Waisenträume verflüchtigen sich, machen Durst und Müdigkeit Platz. Ein Bach fließt hier keiner und Ausruhen kommt nicht infrage, bis nach oben ist es noch weit.
    *
    Moritz schnaubt, schaufelt. Nichts hat er getan, es gibt keinen Grund, ihm Unausgelebtes vorzuhalten, er hat ein Recht auf Verteidigung, was kann er dafür, dass die Dinge aus dem Ruder laufen. Er sticht erneut in den Sauhaufen von Hühnerkacke, befördert doppelte Ladungen nach draußen, wo die Sonne Schaufel um Schaufel weniger blendet.
    Als es in der Scheune schon langsam düster wird, kehrt er mit der Schaufelspitze den letzten Dreck zusammen, das Kratzen des Metalls auf dem Steinboden kann sich nicht laut genug in seine Ohren bohren. Dann poltert er nach oben, tritt einen Strohballen die Scheunentreppe hinunter. Selbst wieder unten angekommen, reißt er an den Schnüren, weil er keine Schere suchen will, die sich wohl die Kinder für irgendeinen Unfug geborgt haben, er zerrt am Ballen herum, bis er endlich ein Bündel Stroh in den Händen hält, dass sich als Streu auf dem Boden von Hühner- und Schafstall verteilen lässt.
    Stinkend und stinkig geht er ins Haus, scheucht Ada zur Seite, die ihn etwas fragen will, wahrscheinlich wegen des Abendessens. Er stellt sich unter die Dusche, versucht sich den Ärger vom Körper zu seifen, der Strahl aus der verkalkten Brause ist hart, Moritz lässt ihn auf seinen Kopf prasseln, bis alles heiße Wasser aus dem Boiler aufgebraucht ist.
    Erst als er

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