Land Spielen
gerannten Weg hierher, zur Dorfschule, zur Dorfschullehrerwohnung, die Dorfschullehrersfrau legt mütterlich die Hand auf Moritz’ Schulter, wiederholt ruhig und beruhigend: »Ich komme mit.« Dann greift sie sich schon halb im Gehen mit der Linken den Autoschlüssel, der neben der Tür hängt, und mit der Rechten eine Jacke, es wird bald dunkel und die Nächte können kühl werden hier auf dem Land.
Christine fährt für Moritz zu langsam, sie kriechen aus dem Dorf, kein Reifenquietschen in den engen Kurven. Und auch im Auto bleibt es still, bis die Straße aufhört und der Kiesweg anfängt und Christine anhalten muss und Moritz muss fluchen, denn hier versperrt eine Schranke den Weg.
»Hier kommen wir nicht weiter«, sagt Christine. Moritz starrt die Schranke an, sagt: »Ich gehe zu Fuß!«
Aber Christine ist klüger, sagt, er solle nicht dumm sein. »Wir müssen zurück und dann über die Brücke und dort die kurze Strecke über die Wiese, dann sind wir auch auf dem Weg.« Und Moritz, der gerade noch laut über Schranken und innerlich über die Frau am Steuer schimpfen wollte, ist plötzlich froh um die Begleiterin, die hier Schleich- und Umwege kennt.
Im Rückwärtsgang geht es weiter, bis man endlich wenden kann, bis man der Brücke entgegenbrettert. Fabians Vorsprung wird größer und größer, die Dämmerung breitet sich aus, »Schalt das Licht ein«, sagt Moritz, gerade laut genug, um neben dem hochtourigen Motor gehört zu werden.
Der Viermalvier, der bis jetzt bloß Straßen sah und vielleicht einmal eine zugeschneite und schlecht geräumte Auffahrt, rast erst über die Brücke und biegt dann dahin ab, wo es keinen Weg gibt. Die zweihundert Meter Wiese sind holprig, die Fahrerin, die solchen Untergrund nicht kennt, ist mutiger, als sie selbst gedacht hat, fürchtet dennoch Gruben, stellt sich vor, wie die Räder im Matsch stecken bleiben, durchdrehen. Der Beifahrer starrt geradeaus, er scheint ihr zu vertrauen, und Christine, die auf einmal die Starke ist, die Tollkühne, muss trotz Ernst der Lage und trotz Unebenheit der Wiese lächeln. Dass es im Wagen bereits zu dunkel ist, um diesen stillen Triumph über sich selbst und über eingespielte Rollenverteilungen zu sehen, kommt ihr nicht ungelegen. Dann kommt endlich der Kiesweg, der Wagen holpert über den Graben, biegt ein in den Weg und die Fahrt geht ruhiger weiter. Man hat wertvolle Zeit verloren, aber hat die Schranke umfahren, es kann weitergehen, die enge, steile Kiesstraße hoch, erst im dritten, dann im zweiten Gang. Bald wird es der erste sein. Bald wird es vollständig dunkel. Die Scheinwerfer zeigen Kies, zeigen links Baumstämme, lassen rechts den Abhang erahnen.
*
Der kleine, abgekämpfte Junge, der irgendwann zu einer Hütte kommt, ist schon lange nicht mehr Fabian, nur Weinerlichkeit ist übrig geblieben, nur schmerzende Füße und Durst. Die Hütte sieht nicht aus wie eine Alp, es kann unmöglich der richtige Ort sein, aber hier ist eine Bank und hier ist eine Kuhtränke. Der kleine Junge will sitzen, will trinken, will schlafen, kann sich nicht einmal mehr für eine Reihenfolge entscheiden. Er setzt sich auf den Rand der Tränke, will den Hahn öffnen, doch dieser wurde vom stärksten Ringer der Welt zugedreht, der kleine Junge zerrt, quetscht, holt sich einen Krampf in der Hand und blutige Finger, Wasser fließt keines. Nicht einmal kleine Jungenaugen tropfen, dafür produzieren Wut und Müdigkeit eine Schreiattacke, lange, kehlige Laute. Der kleine Junge hört sich selbst in der Kälte und in der Nacht herumbrüllen und weiß selbst nicht mehr, was er tut. Sein Zwerchfell scheint sich zusammenzuziehen, der tobende Kobold brüllt, bis Brüllen klingt wie Würgen, ein wildes Tier allein in der Nacht.
Dann wird es hell. Eine plötzlicher Lichtstrahl. Das Tier, es erschrickt, blickt in die Lichtquelle, die die Nacht dahinter noch dunkler erscheinen lässt, als sie sowieso schon ist. Orientierungslos und erstarrt bleibt das Tier in diesem Lichtgefängnis, bis die Taschenlampe endlich ausgeknipst wird. Der kleine Junge bleibt einen Augenblick blind, presst die Augen zusammen, und als er sie wieder öffnet, erscheint im vernebelten Blick erst ein großer Stock, der wohl als Knüppel dient, und am Knüppel ist eine große Männerhand und an der Männerhand ein starker Arm und am Arm ist Herr Mirko und Fabian stürmt auf ihn zu, umarmt seinen Helden, sein zukünftiges Ich, bis Herr Mirko ihn von sich wegschiebt: »Was du machen
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