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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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beisammen und hielt sie im
campo de concentración
konzentriert (wie der Name schon sagte), bis sie aufs Neue zahlten. Mit der Zeit wurde jeder mürbe und gab sein letztes Hemd in der Hoffnung, das Lager verlassen zu dürfen. Für die Internierten mußte pro Tag ein Dollar für Verpflegung und Unterkunft bezahlt werden. Das tat der
Joint
; die Mitarbeiter knirschten mit den Zähnen. Es war eine besondere Gabe, aus den Gestrandeten Geld, Geld, Geld herauszupressen.
    Als Kornitzer vom Lager Tiscornia hörte, dachte er an Claire: Wie es für sie gewesen wäre, wenn sie gereist wäre. Wenn sie nicht auf einem der Unglücksschiffe gewesen wäre, die zurückgeschickt worden waren nach Europa, wie er es sich vorher ausgemalt hatte, wenn sie später ein Schiff ergattert hätte, um bei ihm zu sein? (Wo, wo, in Casablanca? Das war gänzlich illusorisch, Deutschland war eine Falle. Indem es die Nachbarländer überfallen hatte, waren diejenigen seiner Bewohner, die mit keiner seiner organisatorischen und kriegerischen Maßnahmen einverstanden waren, Gefangene, Geiseln, zum Schweigen Verurteilte. Nein, Claire konnte das Land nicht mehr verlassen, das war klar, sie war eine Asketin, wie eine Säulenheilige auf einem Turm stehengeblieben, es gab nichts mehr, das ein Band zwischen ihnen spannen konnte.) Hätte sie es geschafft, kubanischen Boden zu betreten, wie, wie?, man hätte sie ins Lager gesperrt wie alle Neuankömmlinge, keine Chance auf ein Zusammenleben mit ihm, und er, schuldbewußt in der Stadt, seiner minderen Arbeit nachgehend, sich von Kummer über ihre Internierung verzehrend, alles versuchend, damit sie freikäme. Nein, Claire in einem Lager wollte, durfte und konnte er sich nicht vorstellen.
    Unter den Inhaftierten in Tiscornia war Julius Deutsch, ein führender Sozialdemokrat aus Österreich, der in Spanien gekämpft hatte. Die Deutsche Gesandtschaft in Prag hatte schon am 10. Dezember 1936 an das Auswärtige Amt in Berlin die Warnung ausgegeben,
daß der berüchtigte jüdische Führer der österreichischen Sozialdemokratie, Julius Deutsch, die Tschechoslowakei verlassen und sich auf den spanischen Kriegsschauplatz begeben soll
. Was ging das die Deutsche Gesandtschaft an? Und nun war der berüchtigte Jude und Sozialdemokrat mit den vielen geschlagenen Rotspaniern und mit Flüchtlingen aus Mitteleuropa in Kuba gelandet, auch das meldeten die diplomatischen Buschtrommeln, aber nicht so schnell, eher peinvoll. Mit welchen Papieren war er gelandet und in welcher möglicherweise hilfsbedürftigen, bedauernswerten Situation? (Und wer war in der Lage, ihn zu befreien, wer war ebenso gestrandet?) Kornitzer hörte davon, die Wände hatten Ohren, die Palmen fächelten es einem zu, ein Spaziergang auf dem Platz vor der Kathedrale, am Malecón, auf dem Paséo del Prado, in den Cafés, in denen die Emigranten verkehrten. Man mußte davon erfahren, wenn man nicht taub war. Also flehte er Rodolfo Santiesteban Cino an, etwas für Julius Deutsch zu tun, immerhin einen würdevollen älteren Politiker mit vielen Verdiensten, einen Endfünfziger, er wütete förmlich, verstieg sich zu der Behauptung, wenn Kuba ein Rechtsstaat sei, hier an diesem Fall müsse er sich beweisen. Der Rechtsanwalt, dem die Klage etwas ungelegen kam, denn er kam gerade erhitzt vom Tennisspiel, ging doch darauf ein, weil er inzwischen Kornitzer vertraute. Und wenn der bedachtsame Deutsche wütend wurde, mußte man ihn erst recht ernstnehmen. Der Rechtsanwalt ließ sich ein Dossier über den führenden österreichischen Sozialdemokraten, der General der republikanischen Truppen in Spanien gewesen war, schreiben, dabei half Lamm, dann rief er die bekannte kommunistische Anwältin Ofelia Dominguez y Navarro an, eine Kämpferin für die Menschenrechte, mit der er sonst offenkundig nicht verkehrte, und auch noch diesen und jenen, also: breites Bündnis, humanitärer Akt, internationale Zusammenarbeit, großes Tamtam, dann erreichte er etwas Entscheidendes: Der ehemalige spanische Gesandte in Brüssel, der in Havanna auch als ein Emigrant lebte, erinnerte sich an Julius Deutsch, wurde wach, tobte, daß ein so hochrangiger Politiker in einem Lager auf der anderen Seite des Golfs versauerte, schmorte, den Arsch hinhielt für vertrottelte Beamte, ja, die entsprechenden Vokabeln waren Kornitzer vollkommen unbekannt, doch er setzte Himmel und Hölle in Bewegung für ihn. Aber in der Folge besuchte der ehemalige Gesandte den Häftling Deutsch im schmalen Sprechzimmer

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