Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
Vom Netzwerk:
kleinen Scheinen in Schach halten müssen, damit die Grube ausgehoben wäre, wenn der Sarg einträfe. Nein, das waren keine großartigen Nachrichten. Wem hätte man mitteilen können, daß der Emigrant ein Opfer der Ausbeutung war, ein nasses Hemd, das ausgewrungen wurde bis zum letzten Tropfen? Nein, das waren Nachrichten, bei denen man nur niederknien oder das heiße Pflaster auf der Straße mit der Zunge demütig ablecken konnte, und wer wollte das? Also mußte man sich anpassen oder an das Angepaßte andocken, und man wußte nie, wo man zu weit gegangen war, sich aus dem Fenster gelehnt hatte, und wo man noch Spielraum hatte, Spielraum, der ein Existenzraum war.
    Kornitzer hatte sich vorgestellt, Bestechung sei eher wie der Handel eine Betätigung der Überbietung, der Überraschung, eine Sache, die mit ein bißchen Eleganz betrieben werden konnte, ein ziviles Unrecht, noch nicht allzu weit vom zivilen Recht. Was ähnlich war, war die Rhetorik des Rechts, nahezu ununterscheidbar von der Rhetorik des Unrechts. Und er wußte auch nicht, ob sein Arbeitgeber an diesen Machenschaften beteiligt war, und er wußte auch nicht, ob ein wenig von diesen herumgereichten Summen seine Arbeit zahlte, und – mit Verlaub – er wollte es auch nicht wissen.
    Dann wurde in den Cafés plötzlich viel Deutsch gesprochen, auch Flämisch, auch Französisch und das reine Kastilisch der Spanier, das sich meilenweit von den weichen Vernuschelungen der Kubaner absetzte. Neue Schiffe waren gekommen mit Emigranten, Schiffe aus Lissabon, manche aus Casablanca oder Tanger. Die Wellen, die der Vormarsch der Deutschen in Frankreich schlug, hatte sie von Südfrankreich aus über die Pyrenäen gejagt. Manche der Emigranten waren schon im vierten Emigrationsland, über Prag nach Paris geflüchtet, in den Süden Frankreichs getrieben worden, von dort nach Lissabon, sie hatten ein Schiff ergattert, das Europa hinter sich ließ. Emigranten der ersten Stunde, mit dem Stolz der politischen Verfolgung, die rassische Verfolgung nahmen sie achselzuckend zur Kenntnis. Manche wirkten wie hohl, leergepumpt, als sei es ihnen vollkommen gleichgültig, auf welcher Insel sie gelandet waren. Ein Berliner Ehepaar hatte eine Bäckerei gegründet:
La flor de Berlin
, die reichlich Zuspruch fand, denn sie buken keine übersüßen Zuckerbäckertorten, wie sie prunkvoll über die Gassen getragen wurden, keine Hochzeitstorten, sondern knuspriges braunes Brot, nicht die weißen, weichen Lappen, die die Kubaner aßen. Sie kannten nichts anderes. Das Paar war einfach zu beschäftigt, um den anderen Emigranten zu erzählen, auf welchem abenteuerlichen Weg es Havanna erreicht hatte. Der Mann schwitzend und mehlbestäubt im hinteren Teil der Bäckerei, die Frau, danke und bitte und kommen Sie bald wieder sagend hinter dem Tresen, der ihr nur bis zur Hüfte ging.
    Kornitzer freundete sich mit Lisa Ekstein und Hans Fittko an, einem schlanken, dunklen Paar, die beide ein gutes Stück jünger waren als er. Er sah ihnen gerne zu, einem stolzen Liebespaar, ja, er beneidete sie um ihre Gemeinschaft, und sie respektierten ihn. Es war eine hoffnungsvolle Freundschaft, sieben Jahre Altersunterschied waren ein Unterschied ums Ganze. Während er promoviert hatte, lebten sie mit ihren Freunden in einer Welt des aktiven Widerstands, und sie betrachteten Antisemitismus und Rassismus als eine der Erscheinungsformen des Faschismus. Sie kamen mit der Haltung nach Kuba: Was kann schon passieren, wenn man bereit ist, jede Arbeit zu tun? Daß es (zunächst) keine Arbeit für sie gab, daß sie keine Arbeitserlaubnis hatten, war kränkend, man mußte sich die Arbeit, die man tun wollte, selbst erfinden. Manchmal stritt sich Kornitzer im
Café Aire Libre
an der Ecke des Paséo ein bißchen mit ihnen über ihren grundsätzlichen Optimismus, und sie warfen ihm vor, daß er wie viele jüdische Emigranten die Verfolgung als etwas Persönliches aufgefaßt habe. Dagegen war nichts zu sagen. Beiläufig erwähnte Hans Fittko einmal, er sei gar kein Jude. Vom Sozialistischen Schülerbund über die Solidarität mit den Arbeitern im Wedding, in Adlershof beim Blutmai, bei dem fast vierzig Menschen zu Tode kamen, führte der gerade Weg für Lisa über das Flugblattverteilen gegen Hitler nach der Schule (andere Eltern hätten bekundet, demonstrierende Arbeiter, erschossene Arbeiter seien kein Umgang für ihre Tochter) und dann die Erstellung von Listen über die in die Konzentrationslager Verschleppten heraus

Weitere Kostenlose Bücher