Landgericht
aus Deutschland. Lisa Ekstein folgte ihren Eltern über die Grenze nach Prag – ihr Vater war der Verleger der Zeitschrift „Wage!“, er war mit Egon Erwin Kisch befreundet –, und ebenso folgerichtig war es, daß sie sich mit dem jungen Journalisten Hans Fittko zusammentat, der flüchten mußte, weil man ihn der
geistigen Urheberschaft
an einem Mord bezichtigt hatte. Ein SA-Mann war unter unklaren Umständen zu Tode gekommen, der war allerdings von seinen eigenen Kumpanen hinterrücks erschossen worden. Der Wagemut war Lisa vererbt worden. Hans Fittko, der schmale, ernsthafte junge Mann, war in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Lisa und Hans gehörten zusammen, arbeiteten auch in der Tschechoslowakei illegal, bis man Hans
auf Lebzeiten
auswies. Sie arbeiteten dann in der Schweiz, versorgten ganz Baden und Württemberg mit antifaschistischer Literatur. (Schnitt Lisa, wenn sie erzählte, nicht ein bißchen auf?) Dann arbeiteten sie in Holland an der friesischen Küste und versuchten, Stützpunkte zu errichten, was schwer, wenn nicht unmöglich war. Bei Ausbruch des Krieges waren sie in Frankreich, und Frankreich wurde eine Falle. Was immer Lisa und Hans Fittko ihm erzählten, über die letzten sieben, acht Jahre ihrer Illegalität, Kornitzer staunte es an, wollte mehr hören. (Hatte er auf einem anderen Planeten gelebt?)
Nach dem Einmarsch der Deutschen trieb sie der Flüchtlingsstrom nach Südfrankreich, dort wurden sie interniert. Lisa war mit zwei Freundinnen aus dem Lager Gurs getürmt. Was sie Kornitzer zuraunte über die Trampelpfade in den Pyrenäen, über das Schmuggeln von sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten, einem Philosophen, von ganzen Familien, von Leuten, die sich vor dem Tagesmarsch über das Gebirge nicht von ihrem Pelzmantel trennen wollten, hielt er auch für ein wenig übertrieben, aber er hörte ihr gerne zu und bewunderte sie insgeheim. Kein Rucksack, war die Devise,
pas de rucksack!
Am Rucksacktragen erkannte man die Deutschen. Kornitzer konnte es sich nicht vorstellen, daß diese junge Frau ohne augenzwinkerndes oder moralisches Einverständnis der Weinbauern, der Ortspolizisten und des Bürgermeisters ihre hochgefährliche Mission ausübte, während Hans noch im Lager Vernuche interniert war. Noch auf dem Schiff nach Kuba habe sich herumgesprochen, daß sie und Hans etwas von Papieren verstünden. Leute hätten sich schon angstvoll untereinander ihre Visa gezeigt. Und sie seien zufrieden gewesen, wenn einer (Hans oder Lisa natürlich) ihnen sagte: Es sind recht gute Fälschungen, wirklich geschickt gemacht, und mit etwas Glück wird es gutgehen. So waghalsig, so gleichmütig war Lisa.
Durch Hans Fittko und Lisa Ekstein lernte er auch den immer heiteren Fritz Lamm kennen. Er war ein geborener Volkspädagoge. Was in Deutschland geschehen war, was die Erfahrung des Krieges bedeutete, konnte niemand so gut erklären wie Fritz Lamm. Er war aus Stettin, hatte bei einer Zeitung volontiert, war SPD-Mitglied geworden, doch 1931 wieder ausgeschlossen worden, er wurde dann Gründungsmitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands und Mitglied des Sozialistischen Jugendverbandes Deutschlands. Nach dem Reichstagsbrand war er für fünf Tage in „Schutzhaft“ genommen worden, doch drei Monate später wurde er wieder verhaftet. Vor dem 4. Strafsenat des Reichsgerichtes in Leipzig wurde er wegen „Vorbereitung zum Hochverrat, Herstellung und Verbreitung illegaler Schriften“ zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Als er Ende 1935 entlassen wurde, stellte man ihn sofort wieder unter Polizeiaufsicht. Eine Arbeit zu bekommen, war aussichtslos, er ging stempeln und wohnte bei seiner Mutter. Als in Stettin Pralinéschachteln auftauchten, in deren Boden sozialistische Broschüren versteckt waren, fiel der Verdacht sofort auf ihn. Er entzog sich den neuen Gestapo-Verhören durch die Flucht. Er reiste nach Stuttgart und von dort in die Schweiz. Die Schweizer Behörden setzten ihn wieder fest. Er wurde nach Österreich abgeschoben, von Österreich gelang ihm die Flucht in die Tschechoslowakei. Die Geheime Staatspolizei Stettin korrespondiert über ihn mit der Geheimen Staatspolizei Berlin. Sein Name findet sich wieder auf der 14. Ausbürgerungsliste im Deutschen Reichsanzeiger vom 27. Oktober 1937. Jetzt ist er vogelfrei.
Mitte August 1938 war Lamm dann in Paris angekommen, arbeitete für die Sozialistische Arbeiterpartei als Sekretär, er wurde wieder verhaftet, saß im
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