Landgericht
hüllten sich in dieser Zeit in Schweigen.) Nicht die geringste Chance hatte auch der Versuch des Abgeordneten Adolf Arndt, dem Gesetz eine Art von Präambel zu geben:
Dieses Gesetz ist großherzig so auszulegen und anzuwenden, daß sein Vollzug im Höchstmaß die Wiedergutmachung als sittliche Aufgabe und rechtliche Schuld erfüllt
.
In der Folge siegte die Paragraphenreiterei, die kleinliche und schleppende Bearbeitung der Anträge. Man wollte Bittsteller in den Ämtern und in den Wiedergutmachungskammern der Gerichte, keine Anspruchsberechtigten. Völlig neue Krankheitsbilder, die keinem gängigen Schema zuzuordnen waren, mußten diagnostiziert und den Ämtern vermittelt werden:
Entschädigungsneurosen, Entwurzelungsdepression, erlebnisbedingter Persönlichkeitswandel
.
Der SPD-Abgeordnete Hermann Runge berichtete nach einem Zeitungsartikel im „Aufbau“ vom 17. September 1954, daß allein in New York 15.000 anspruchsberechtigte Emigranten im Alter von über 75 Jahren lebten. Auf die Beschwerde eines 78jährigen hin schrieb die entsprechende Behörde, daß sie zur Zeit nur die Anträge der über 80jährigen bearbeiten könne und sein Antrag deshalb vorerst ruhen müsse. Der Baden-Württembergische Justizminister verstieg sich zu der Aussage, die Antragsteller seien
Rentenjäger
. Im Frühjahr 1956 unternahm Kurt R. Grossmann im Auftrag der
Jewish Agency for Palestine
eine Informationsreise, um sich über den Stand der Wiedergutmachung bei Ämtern und über die öffentliche Meinung zu Fragen der Wiedergutmachung zu informieren. Seine Bilanz war erschreckend: Die Bearbeitung der Anträge erfolge im Schneckentempo. Bei den Behörden sei die Meinung verbreitet, etwa ein Drittel der Antragsteller seien Betrüger. Er rief dazu auf, über ausländische Medien Druck auf Deutschland auszuüben, Deutschland reagiere nur auf Druck aus dem Ausland.
Die Arbeit in den Wiedergutmachungsstellen war unbeliebt, qualifizierte Verwaltungsangestellte wechselten in die Privatindustrie, die Fluktuation war groß. Heimatvertriebene, die mit ihren eigenen Problemen beschäftigt waren, füllten die Lücken und hatten nicht das geringste Verständnis für die Nöte und Traumata der Emigranten. Auch Kornitzer wurde die Übernahme einer Wiedergutmachungskammer angeboten, was er sich 1949 sehnlichst gewünscht hatte. Damals war er angeblich „befangen“. Jetzt lehnte er ab – aus Gewissensgründen; der Entscheidungsspielraum war viel zu gering. Zum Ausgleich für den Verlust seiner Stellung und seiner Dienstbezüge hatte er eine Entschädigung von 20.000 DM erhalten. Auf diese Entschädigung waren die bereits geleisteten Abschlagszahlungen in der Höhe von 11.500 DM angerechnet, die er bekommen hatte, als er in Lindau mittellos war. Es wurde
ferner festgestellt, daß die Zeit zwischen dem 1. November 1933 und dem 31. Mai 1949 ruhegehaltfähig ist
. Der Bescheid wurde ihm gegen eine Empfangsbestätigung ausgehändigt.
Kornitzer war erst in den Fünfzigern. Er hatte eine sichere Beamtenstelle. Aber die Kinder in England und ihre Reisen nach Deutschland kosteten auch viel Geld. Trotzdem sagte er sich: Das Beste ist es, die Ansprüche aus dem Bundesentschädigungsgesetz zurückzustellen, um Vertagung zu bitten, denn es war ihm unvorstellbar, daß dieses Kompromißgesetz so stehenblieb, es mußte verbessert werden. (Er mußte dann lange warten, ehe 1965 das Bundesentschädigungs-Schlußgesetz in Kraft trat. Wer hätte ahnen können, daß auch nach dem Schlußgesetz kein Ende abzusehen war?) Und da niemand wußte, wie weitgehend die Änderungen des Gesetzes sein würden, mußte man mit dem Spatz in der Hand vorliebnehmen und von der Taube auf dem Dach träumen. Und so war es dann auch: Das neue Gesetz lieferte Ämtern und Gerichten Vorwände über Vorwände, Anträge abzulehnen. Das Beste an dem neuen Gesetz war noch, daß es endlich in allen Ländern der Bundesrepublik eine einheitliche Regelung gab.
Es war nicht möglich, die Ansprüche aus dem Bundesentschädigungsgesetz selbst durchzufechten. (Kornitzer hatte das versucht, noch vom Bodensee aus, war aber nicht weit damit gediehen. Jetzt waren Akten von Lindau nach Berlin zu transferieren, Zuständigkeiten, Ämter und Gerichte wechselten.) Ein bei einem deutschen Gericht zugelassener Rechtsanwalt mußte beschäftigt werden, das galt auch für die Kuba-Emigranten, die in die USA weitergewandert waren, es galt auch für Boris Goldenberg, der in Kuba hatte bleiben wollen, und für
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